Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Wörterbuch des Viktor Vau

Titel: Das Wörterbuch des Viktor Vau
Autoren: Gerd Ruebenstrunk
Vom Netzwerk:
und darüber hinaus offenbar auch ein Mensch ohne moralische Skrupel. Das war bei Thura immer ein Problem gewesen. Sie wollte nur Ziele auswählen, bei denen keine Personen zu Schaden kamen, was die Wirkung der Bomben natürlich deutlich beeinträchtigte. Marek hatte diese Vorbehalte nicht, wie Winter annahm.
    Deshalb war er ein letztes Mal in die Rolle des Bastos geschlüpft, in der der Junge ihn bereits bei Thura kennengelernt hatte. Nach dem Treffen hatte er sich in einer öffentlichen Toilette, deren Kamera, wie er wusste, nicht funktionierte, umgezogen, den Bart und die Backenpolster entfernt, die Sachen in einen Plastikbeutel gepackt und in einem Müllschredder am Straßenrand entsorgt.
    Winter legte die Zeitung weg. Der Junge hatte seine Hoffnungen nicht enttäuscht. Die Terroranschläge würden weitergehen und an Härte gewinnen. Nur so konnte es gelingen, die herrschende Fraktion der Dynastie so weit zu destabilisieren, dass sie zugunsten der Oppositionsfraktion abdankte.
    Sein Mobiltelefon klingelte.
    Â»Das Einzige, was mich tröstet, ist, dass Sie mit leeren Händen abreisen.« De Moulinsart kam ohne Begrüßung zur Sache.
    Â»Im Gegensatz zu Ihnen. Sie haben ja noch den Kristall«, erwiderte Winter. »Wenn Sie wollen, nehme ich ihn mit und übergebe ihn in Agua Caliente den Experten.«
    Â»Halten Sie mich nicht für senil! Lange steht Ihr Präsident ohnehin nicht mehr durch. Noch zwei bis drei Wochen des Embargos, und Gordon Banda ist Geschichte.«
    Winter musste zugeben, dass de Moulinsart recht hatte. Die derzeitige Regierung der Dynastie hatte ein Handelsembargo gegen den Import von Pinidium erlassen, weil sich Banda seit Jahren standhaft weigerte, ihr einen weiteren Militärstützpunkt in der Nähe von Agua Caliente einzuräumen, den sie in der Region für die Versorgung ihrer Marine dringend benötigte. Dabei wurden die Interessen der Hightech-Industrie, die auf das Pinidium angewiesen war, bewusst missachtet, denn die herrschende Fraktion vertrat in erster Linie die Interessen der Schwerindustrie und der Dienstleistungsbetriebe.
    Â»Ich weiß ja nicht, auf welcher Seite Sie stehen, Armand, aber das Embargo Ihrer Regierung schädigt Ihre Wirtschaft ebenfalls«, erwiderte Winter.
    Â»Aber wir haben den längeren Atem …« De Moulinsart schwieg so abrupt, als sei ihm soeben ein ungeheuerlicher Gedanke gekommen. »Jetzt dämmert es mir. Dieser ganze Wirbel um den verdammten Vau war für Sie nur ein Vorwand. In Wirklichkeit waren Sie wegen des Embargos hier.«
    Winter musste lächeln. »Und wenn es so wäre?«
    Â»Sie haben den Waffenstillstand ausgenutzt, den wir wegen der Botschaft aus der Zukunft geschlossen hatten?« Das Zittern in de Moulinsarts Stimme war deutlich zu vernehmen. »Und diese ganzen Bombenattentate …!«
    Â»Was ist damit?«
    Â»Sagen Sie mir die Wahrheit: Stecken Sie dahinter?«
    Â»Sie überschätzen mich, Armand. In Ihrem Land gibt es genügend Unzufriedene, die nichts lieber täten, als die Dynastie ins Jenseits zu bomben.«
    Â»Aber ihnen fehlen die Mittel dafür. Was wir derzeit erleben, ist mehr als nur die Tat eines Haufens von Anarchisten mit ein paar selbstgebastelten Sprengsätzen.«
    Winter zögerte einen Moment. »Das stimmt. Es wird Ihnen sicher nicht gefallen, aber die Oppositionsfraktion der Dynastie hat Sie und Ihre Regierung verraten.«
    Â»Unmöglich! Davon hätte ich erfahren!«
    Â»Offenbar nicht. Oder wussten Sie, dass sich Banda und Ihre Opposition bereits vor Monaten in einem geheimen Treffen geeinigt haben, die Regierung der Dynastie zu stürzen?«
    De Moulinsart erwiderte nichts.
    Â»Banda verpflichtete sich, eine Destabilisierungskampagne zu finanzieren und durchzuführen, im Gegenzug erhielt er die Zusage zur sofortigen Wiederaufnahme der Pinidiumlieferungen.«
    Winter hörte de Moulinsarts langsame, flache Atemzüge.
    Â»Ich kann … ich will es nicht glauben.«
    Â»Das, mein Lieber«, schloss Winter, ȟberlasse ich natürlich Ihnen.«
    Ein Mann in Pilotenuniform trat in den Raum. »Wir sind jetzt bereit zum Start, Sir«, erklärte er.
    Winter schaltete sein Telefon aus, nahm mit einem zufriedenen Lächeln seine Reisetasche und folgte dem Mann aufs Rollfeld.
    3.
    Dagombé
    Der Privatjet befand sich im Landeanflug auf den Flughafen von Agua Caliente, und Winter legte
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher