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Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition)

Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition)

Titel: Das Wesen der Dinge und der Liebe: Roman (German Edition)
Autoren: Elizabeth Gilbert
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menschlichen Strebens nach … Bedeutung ist? Verzeihen Sie mir, ich will Sie damit nicht kränken. Der Mann, den ich von Herzen geliebt habe, hatte dasselbe Bedürfnis wie Sie, dasselbe Bestreben, mit etwas geheimnisvoll Göttlichem in Kontakt zu treten, seinen Körper und diese Welt zu überwinden und an einem besseren Ort Bedeutung zu erlangen. Ich habe ihn als einsamen Menschen kennengelernt, Mr Wallace. Als schönen, aber einsamen Menschen. Ich weiß nicht, ob auch Sie einsam sind, aber ich frage mich das doch.«
    Darauf gab er keine Antwort.
    Er fragte nur, nach kurzem Schweigen: »Haben Sie dieses Bedürfnis denn nicht, Miss Whittaker? Sich bedeutsam zu fühlen?«
    »Ich will Ihnen etwas sagen, Mr Wallace. Ich halte mich für die glücklichste Frau, die jemals gelebt hat. Sicher, mir wurde das Herz gebrochen, und die meisten meiner Wünsche haben sich nie erfüllt. Ich habe mich durch mein eigenes Verhalten enttäuscht, und andere haben mich ebenfalls enttäuscht. Ich habe fast alle überlebt, die ich jemals geliebt habe. Auf dieser Welt bleibt mir nur noch eine Schwester, die ich seit über dreißig Jahren nicht gesehen habe – und mit der mich für den Großteil meines Lebens kaum etwas verband. Ich habe keine glanzvolle Laufbahn hinter mir. Ich hatte in meinem Leben nur eine ureigene Idee – und wie der Zufall es wollte, war es eine bedeutende Idee, die mir möglicherweise zu einer gewissen Bekanntheit verholfen hätte –, doch ich habe gezögert, damit an die Öffentlichkeit zu gehen, und die Gelegenheit dadurch verspielt. Ich habe keinen Mann. Ich habe keine Nachkommen. Einst hatte ich ein Vermögen, doch das habe ich verschenkt. Mein Augenlicht verlässt mich, und meine Lunge und meine Beine machen mir zu schaffen. Ich glaube nicht, dass ich noch einen weiteren Frühling erleben werde. Ich werde hier sterben, wo mich ein Weltmeer von meinem Geburtsort trennt, und man wird mich auch hier begraben, weit weg von meinen Eltern und meiner Schwester. Wahrscheinlich fragen Sie sich jetzt: Wie kann sich diese arme, glücklose Frau bloß glücklich schätzen?«
    Er schwieg. Er war zu freundlich, um auf solch eine Frage zu antworten.
    »Sorgen Sie sich nicht, Mr Wallace. Ich treibe keine Scherze mit Ihnen. Ich halte mich wahrhaftig für glücklich. Ich bin glücklich, weil ich mein ganzes Leben damit verbringen durfte, die Welt zu studieren. Und darin habe ich mich niemals unbedeutend gefühlt. Das Leben ist ein Mysterium, das ist wahr, und oft ist es auch eine Strapaze, doch man sollte so viele Fakten darin zu finden versuchen, wie man nur kann – denn Wissen ist das wertvollste aller Güter.«
    Als er weiter schwieg, fuhr Alma fort:
    »Sehen Sie, ich hatte niemals das Bedürfnis, mir eine Welt jenseits der unseren auszudenken, denn unsere Welt war mir immer bei weitem groß und schön genug. Ich habe mich oft gefragt, warum sie manch anderem nicht auch groß und schön genug ist – warum man sich neue, wundersame Reiche erträumen muss oder sich danach sehnt, an einem anderen Ort zu leben, fern von hier … Aber das geht mich ja nichts an. Wir sind wohl alle verschieden, denke ich. Ich wollte nie etwas anderes kennenlernen als diese Welt. Und jetzt, da ich meinem Ende entgegensehe, kann ich sagen, dass ich doch einiges mehr von ihr weiß als bei meiner Ankunft. Mehr noch, mein bisschen Wissen hat sich all dem übrigen Wissen, das die Menschheit im Lauf der Geschichte angesammelt hat, hinzugefügt – der großen Bibliothek, wenn man so will. Das ist keine geringe Leistung, Sir. Wer so etwas von sich behaupten kann, hat ein glückliches Leben geführt.«
    Nun war es an ihm, ihr die Hand zu tätscheln.
    »Das haben Sie wunderbar gesagt, Miss Whittaker«, sagte er.
    »Allerdings, Mr Wallace«, sagte sie.
    •
    Danach schien ihr Gespräch an ein Ende gelangt zu sein. Sie waren beide nachdenklich und erschöpft. Alma legte ihr Manuskript in Ambroses Koffer zurück, schob ihn wieder unter den Diwan und schloss ihr Arbeitszimmer ab. Sie würde es niemandem mehr zeigen. Wallace half ihr die Treppe hinunter. Draußen war es dunkel und neblig. Langsam kehrten sie zur Residenz der van Devenders zwei Häuser weiter zurück. Alma schloss die Tür auf, und sie blieben in der Diele stehen und wünschten einander eine gute Nacht. Wallace würde am nächsten Morgen abreisen, und sie sollten einander nicht wiedersehen.
    »Ich bin so froh, dass Sie gekommen sind«, sagte sie zu ihm.
    »Ich bin so froh, dass Sie mich
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