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Das Werk der Teufelin

Titel: Das Werk der Teufelin
Autoren: Andrea Schacht
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die dunkle Gestalt von Pater Ivo, der aufrecht sitzend über die Wiesen blickte und vielleicht seine Gebete sprach. Oder auch nicht.
    Aziza war eingeschlafen, ihre Hand war von Almuts Schulter geglitten. Von Süden her zog eine kleine Wolkenherde vorüber, silbern beleuchtet, und löste sich langsam auf. Almut seufzte leise. Das Firmament drehte sich weiter über ihr, und sie dachte an die Sterne, die das Schicksal der Menschen lenkten, und fragte sich, ob das, was ihr heute geschehen war, wohl vorherbestimmt war. Aber da sie eine ehrliche Frau war, musste sie das verneinen. Es hatte sie wahrlich niemand gezwungen, vor die Stadtmauern zu gehen. Nur ihr Leichtsinn und ihre Unbedachtheit hatten sie dazu getrieben. Pater Ivo hatte schon Recht mit seinen Vorwürfen. Sie quälte sich eine Weile damit herum, und schließlich gab sie es auf, Schlaf zu finden. Stattdessen stand sie auf, ging leise ein paar Schritte vor und rückte an Pater Ivos Seite. Er zuckte leicht zusammen, als er sie neben sich spürte, aber dann nickte er ihr freundlich zu.
    »Ich verstehe, Begine. Ihr werdet von den Gedanken und Gefühlen gejagt«, meinte er mit gedämpfter Stimme.
    »Ja, das wird es wohl sein.«
    »Ich bin – zu Zeiten – ein guter Zuhörer, Begine. Möchtet Ihr darüber sprechen, was Euch bedrückt?«
    »Ja, aber es ist ein ziemliches Durcheinander.«
    »Das macht nichts. Fangt einfach irgendwo an.«
    Almut betrachtete eine Weile den Mond und meinte dann: »Ich war so unbedacht, Pater. Ich habe Euch verärgert. Ich wünschte, ich könnte mich besser beherrschen.«
    »Grämt Euch nicht darum. Ausgerechnet für diese Sünde habe ich tiefes Verständnis.«
    Sie seufzte ein wenig erleichtert auf, als sie sein Lächeln sah. Und sie erwiderte es plötzlich, denn dieses Eingeständnis hatte sie nicht erwartet. Dann aber kehrten ihre Gedanken zu den Ereignissen der letzten Stunden zurück, und ihre Stimme war ernst, als sie sagte: »Wisst Ihr, in diesem ganzen furchtbaren Geschehen scheint der Domherr der eigentliche Bösewicht zu sein.«
    »Da stimme ich Euch zu.«
    »Er war skrupellos, gierig, brutal und sittenlos. Aber Angelika ist es, Pater, die mir wahrhaft Angst einflößt. Der Domherr war sich klar darüber, was er tat, denke ich. Das Mädchen aber hat von Kindheit an nur im Kloster gelebt und sollte im Bewusstsein christlicher Liebe aufgewachsen sein – und dennoch kann sie schlichtweg Gut und Böse nicht voneinander unterscheiden.«
    »Auch das ist richtig.«
    »Den Nonnen scheint es nicht gelungen zu sein, ihr die einfachsten Regeln der Moral beizubringen. Liegt das an ihrer Dummheit oder an den weltfremden Nonnen, Pater?«
    »Sie hat etwas von einem Tier an sich, Begine. Sie gibt ihren Trieben unbedingt nach, und dabei entwickelt sie sogar eine gewisse Schlauheit. Damit, da gebe ich Euch Recht, sind die Nonnen überfordert gewesen. Aber auch das Leben in einer Familie hätte diese Anlagen wohl nicht gemildert.«
    »Und nun, Pater, trägt das dumme, unmoralische Geschöpf das Kind eines gerissenen, gewissenlosen Bösewichts in sich. Was soll daraus werden?«
    »Es wäre besser für sie und die Welt, wenn dieses Kind nie geboren würde.«
    »Das sagt Ihr als Priester?«
    »Das sage ich als Mensch.«
    »Aziza könnte helfen, auch Elsa kennt die Kräuter, und Johanna weiß ebenfalls, was zu tun ist.«
    Er wandte sich ihr zu und legte seine Hand über die ihre. Mit sanfter Stimme fragte er: »So wisst Ihr denn auch, was Ihr tun müsst, wenn dieser Tag Folgen für Euch hat?«
    Ein wenig erstaunt sah Almut ihn an. Es berührte sie eigenartig, dass er sich darüber Gedanken machte.
    »Ich weiß es, Pater. Aber ich denke, es wird nicht nötig sein. Ich habe bisher alle meine Kinder tot geboren. Meist schon nach wenigen Monaten.«
    Der Druck seiner Hand verstärkte sich ganz kurz, dann aber zog er sie wieder fort.
    »Darf ich Euch eine sehr persönliche Frage stellen, Begine?«
    »Was wollt Ihr wissen?«
    »Ihr sagtet vorhin, Ihr hättet schon Schlimmeres erlebt als das, was Euch heute widerfahren ist. Schlimmeres als eine Vergewaltigung? Hat das etwas damit zu tun, dass Ihr eine Begine geworden seid?« Seine Stimme war weich und mitfühlend, als er ergänzte: »Ihr müsst die Frage natürlich nicht beantworten, wenn Ihr nicht wollt.«
    Almut umfasste ihre Knie und starrte zum Himmel hinauf. Einen Moment schwieg sie, dann aber meinte sie: »Doch, Pater. Ich werde Euch antworten, auch wenn es kein schönes Bild ist, das Ihr von mir
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