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Das Weisse Kleid Des Todes

Das Weisse Kleid Des Todes

Titel: Das Weisse Kleid Des Todes
Autoren: Julia Spencer-Fleming
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Radcliff Street wurde rot, und er bremste vorsichtig, um auf den überfrorenen Stellen nicht zu rutschen.
    »Genau das ist der Haken. Meine Arbeit als Hilfsgeistliche dauerte von Mai bis Ende September – auf fünfzehn Zentimeter Schnee vor Anfang Dezember war ich also nicht vorbereitet. Ich bin ja auch erst drei Wochen hier. Einen Mantel habe ich allerdings bereits. Als ich über das Baby gestolpert bin, wollte ich nur gerade joggen gehen.«
    Er sah sie erneut an. Sie war offenkundig trainiert, wenn auch nicht sehr groß: Sie reichte ihm kaum bis zu den Schultern. »Lassen Sie sich nicht täuschen, bloß weil wir eine Kleinstadt sind und es aussieht wie Bedford Falls in Ist das Leben nicht schön? Auch hier kann Schlimmes passieren. Und es passiert. Also, wenn Sie nachts allein rausrennen, dann passen Sie auf!«
    Sie winkte unbekümmert ab. »Ich kann auf mich selbst Acht geben.«
    »Lassen Sie mich raten. Sie können Karate, Sie haben eine Ausbildung in Selbstverteidigung …«
    »Keine offizielle. Aber die Army hat dafür gesorgt, dass ich notfalls jemandem den Arm brechen kann.«
    Die Ampel schaltete auf Grün. Russ fuhr in die Radcliff, wobei er einen uralten Chevy Nova, der von hinten angerast kam, zum Abbremsen zwang, wie es die Geschwindigkeitsgrenze von fünfunddreißig Meilen verlangte. »Ich sage Ihnen eins, Reverend: Wenn jemand Sie überfallen will, dann lässt er Sie nicht nah genug rankommen, dass Sie ihm den Arm brechen können. Jeder dahergelaufene Wichser, äh, Trottel, hat heute eine Kanone. Selbst bei uns hier oben. Die kommen aus New York City, genau wie die Drogen.«
    Er warf einen Blick auf Clare, während er in die Main abbog. Stirnrunzelnd studierte sie die friedlichen Schaufenster und rieb sich mit ihrer langfingrigen Hand geistesabwesend den Unterarm. »Ist das ein großes Problem in Millers Kill? Die Drogen?«, fragte sie.
    Russ seufzte. Er wusste, wenn jemand ihm auswich. »Nein, nicht allzu sehr. Hier oben ist Alkohol die Droge Nummer eins, wie in vielen ländlichen Gebieten. Das häufigste Delikt und mein Hauptproblem ist häusliche Gewalt, dabei spielt in neun von zehn Fällen Alkohol eine Rolle.«
    Er fuhr an dem Revier vor. »Ich lasse den Motor für Sie laufen«, sagte er. »Bin gleich wieder da.« Er schnappte sich den Karton, stürmte nach draußen in die eisige Luft und nahm zwei Treppenstufen auf einmal.
    Der Empfangsschalter war um diese Uhrzeit nicht besetzt. Russ lief in den Raum, der die Funkzentrale beherbergte und wo Harlene sich gerade einen Kaffee einschenkte. »Harlene, schöne Frau!«, sagte er. Sie war etwa zehn Jahre älter als er, von vierschrötiger Statur und besaß ein geradezu unheimlich logisches Denken und ein fotografisches Gedächtnis für jedes Landsträßchen und jeden Feldweg in den drei Gemeindegebieten.
    »Demnächst hänge ich Ihnen eine Anzeige wegen sexueller Belästigung an«, erwiderte sie, während sie sich in ihren Sessel hievte und das Headset über ihr widerspenstiges graues Haar zog.
    »Damit Harold erfährt, wie Sie sich hier drüben amüsieren? Von wegen!« Ihr Ehemann Harold war kürzlich in Rente gegangen und saß Harlene ziemlich im Nacken, sie solle kündigen und bei ihm daheim bleiben. Russ hob den Karton hoch. »Ich schließe das hier in die Asservatenkammer«, sagte er. »Würden Sie Phil eine Notiz schreiben, dass er sich gleich morgen früh darum kümmert? Fingerabdrücke, Haare – alles, was er rauskriegen kann.«
    Harlene betrachtete das Ding aus zusammengekniffenen Augen. »Soll er’s an die Bundespolizei weiterleiten, falls er nichts findet?«
    »Nein. Das Geld können wir uns sparen. Es geht um dieses ausgesetzte Baby, das Mark gemeldet hat. Höchstwahrscheinlich wird die Mutter innerhalb der nächsten acht Tage sowieso auftauchen. Sie wissen ja, wie so was läuft.«
    Harlene nickte. Die minderjährige Mutter würde mit postpartalen Komplikationen im Krankenhaus landen. Oder zusammenbrechen und einer Freundin davon erzählen, die es wieder einer anderen erzählte, bis das Ganze kein Geheimnis mehr war.
    »Okay, Chief, wird erledigt.« Sie deutete auf die Kaffeemaschine. »Hab gerade frischen gekocht.«
    »Ich muss mich ranhalten«, erwiderte Russ, während er die Enden seines Schals in die Jacke stopfte. »Ich fahre die Pastorin, die das Baby gefunden hat, ins Pfarrhaus von St. Alban’s zurück.«
    »Sie und eine Pastorin«, schnaubte Harlene. »Bei dem Gespräch würd ich zu gerne Mäuslein spielen!«
    »Im Grunde«, sagte
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