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Das Weisse Kleid Des Todes

Das Weisse Kleid Des Todes

Titel: Das Weisse Kleid Des Todes
Autoren: Julia Spencer-Fleming
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zwischen den beiden mächtigen Bleiglasfenstern. Und das unverändert seit 1882, ging es Clare durch den Sinn. Langsam beschlich sie der Verdacht, dass die Kirchengemeinde St. Alban’s Neuerungen nicht unbedingt begrüßte. Möglich, dass die Einstellung des ersten weiblichen Gemeindeoberhaupts ihre Reserven an Wagemut für die nächsten zehn Jahre erschöpft hatte.
    Norm Madsen, ein würdiger Mittsiebziger mit einem Gesicht voller Falten, klopfte missbilligend auf das Blatt Papier vor ihm. »Das hier ist keine Tagesordnung, Reverend Fergusson. Wir haben immer eine Tagesordnung für die Pfarrgemeinderatssitzungen.«
    »Und bei unserem Mittwoch-Mittagessen geht es immer um finanzielle Dinge zur Weiterleitung an den Verwaltungsausschuss am Donnerstagabend.« Terence McKellan, Direktor der Abteilung für Geschäftskredite bei AllBanc – bis vor kurzem First Aleghany Farmers and Merchants Bank, wie er Clare freundlicherweise erklärt hatte –, verschränkte die Hände über seiner fülligen Leibesmitte. »Nichts für ungut, aber so ein Thema wie ledige Mütter gehört eigentlich vor den Ausschuss für soziale Aktivitäten.«
    »Was für Aktivitäten sollte der denn Ihrer Meinung nach einleiten, Terry?«, fragte Robert Corlew, schnaubend vor Lachen. Der stiernackige Bauunternehmer besaß eine unglaubliche Haarpracht, die Clare für ein Toupet hielt.
    Mrs. Henry Marshall, die einzige Frau im Pfarrgemeinderat, wies Corlew mit einem Blick in die Schranken. »Da die Damen vom Ausschuss für soziale Aktivitäten größtenteils in meinem Alter sind, Bob« – sie fuhr mit einem Stift in ihr silbernes, gewelltes Haar –, »dürften sie kaum den Anteil an allein stehenden Müttern in der Bevölkerung vergrößern. Obwohl die meisten inzwischen auch allein stehend sind«, fügte sie nachdenklich hinzu.
    Clare atmete langsam und tief durch. Ein. Aus. »Tut mir leid, dass ich keine Tagesordnung aufgestellt habe. Bei der nächsten Sitzung werde ich dafür sorgen. Was den Zeitungsbericht und die Zahlentabelle vor Ihnen betrifft« – sie stemmte ihre Arme auf den massiven schwarzen Eichentisch, der den Raum beherrschte –, »so wissen Sie alle von dem ausgesetzten Baby, das Montagabend hier gefunden wurde. Das brachte mich auf die Idee, ein wenig nachzuforschen, welche Einrichtungen unverheirateten minderjährigen Müttern zur Verfügung stehen.«
    »Solche Einrichtungen gibt’s viele in Millers Kill«, sagte Vaughn Fowler, während er sich eine Tablette gegen Sodbrennen in den Mund warf. »Wohlfahrt, Sozialwohnungen und ein Laden für Bedürftige. Zusammen mit den anderen Pfarrgemeinden der Stadt finanzieren wir sogar eine Suppenküche.« Der pensionierte Colonel schlug bei seiner Aufzählung mit einem klobigen Ring der Militärakademie West Point auf die Tischplatte.
    »Richtig, Mr. Fowler. Keine Minderjährige mit einem Baby braucht hier zu verhungern. Aber wussten Sie schon, dass siebzig Prozent aller Minderjährigen, die schwanger werden, vorzeitig von der hiesigen High School abgehen?«
    »Ich möchte nicht herzlos klingen«, erwiderte Fowler, »aber wie kommen Sie darauf, dass diese Mädchen den Schulabschluss gemacht hätten?«
    Clare hatte diese Debatte seit gestern, als sie mit dieser Idee aufgewacht war, vorhergesehen. »Wenn Sie zur Seite vier blättern, finden Sie einen Artikel aus der Washington Post . Er beschreibt ein Projekt der Frauenliga, bei dem ich während meiner Seminarzeit mitgeholfen habe.«
    »Der Frauenliga?« Mrs. Marshall rückte ihre Lesebrille zurecht und beugte sich über das Papier. »Das ist immer eine gute Referenz.«
    »Die dortige Frauenliga hatte ein, zwei Dinge festgestellt, die häufig passierten, wenn ein Mädchen ein Kind bekam. Entweder sie ging vorzeitig von der High School ab, um für das Kind da zu sein, oder die Mutter des Mädchens gab ihren Beruf auf und lebte oft von der Sozialhilfe, um für ihren Enkel zu sorgen.« Terry MacKellan las die Stelle, und seine Hängebacken zitterten, während er nickte. »Die Mädchen, die die Schule vorzeitig verließen, gingen ein hohes Risiko von weiteren Schwangerschaften, Drogenmissbrauch und häuslicher Gewalt ein. Diejenigen, deren Mütter ihren Beruf aufgaben und zu Hause blieben, machten zwar in großer Zahl ihren High-School-Abschluss, aber nur wenige fanden hinterher eine Arbeit. Das führte zu den gleichen Abhängigkeiten wie bei ihren Altersgenossinnen ohne Schulabschluss.«
    Corlew runzelte die Stirn. »Fanden keine Arbeit? Oder
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