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Das Weisse Kleid Des Todes

Das Weisse Kleid Des Todes

Titel: Das Weisse Kleid Des Todes
Autoren: Julia Spencer-Fleming
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Miss. Darf ich Ihnen Ihre Sachen ausziehen?«
    »Was ist mit dem Täter? Fischen wir seine Leiche raus?«
    Codys winzige Faust hob sich zuckend in die Luft. Der Taucher zog seinen Kopf zurück und drehte das Baby auf die Seite. Es hustete, erbrach einen Schwall Wasser und fing zu weinen an. Alle jubelten, nur Clare nicht; die drückte fest die Augen zu, um ihre heißen Tränen zurückzuhalten.
    Das Boot schlug dumpf gegen Steine und schrammte an ihnen entlang. Clare öffnete die Augen gerade rechtzeitig, um Russ durchs Wasser waten zu sehen. Das Boot bekam starke Schlagseite, als er sich hineinhievte. »Kommen Sie wieder rein, Chief«, sagte die Stimme neben ihr. »Ich hab ’ne Decke für Sie. Mann, da haben Sie sich aber höllisch die Hosen zerrissen. Was, zum Teufel, sollte das überhaupt? Wir hatten sie doch schon drin.«
    Clare richtete ihren Blick auf den Mann, der ihr geholfen hatte, und erkannte Kevin Flynn. Der Motor sprang wieder an. Das Boot beförderte sie in gemächlichem Tempo vom Ufer weg und wurde schneller, als es flussabwärts ging.
    »Gib mal rüber, Kevin«, sagte Russ mit belegter Stimme. Der junge Beamte reichte ihm eine Decke und rückte zur Seite. Russ wickelte sich ein, dann ließ er sich auf die Bank fallen. »Lyle, haben Sie das Krankenhaus schon verständigt?«
    »Klar, Chief.«
    »Informieren Sie die Typen von der State Police. Teilen Sie ihnen mit, wir brauchen eine Tauchmannschaft und Suchboote zur Bergung von Fowlers Leiche.«
    »Was ist passiert?«, fragte Clare zähneklappernd.
    »Sie meinen, nach Ihrem Hechtsprung? Fowler hat auf mich geschossen.«
    »O nein. O nein. Dann haben also Sie ihn –«
    »Nein, mein Revolver steckte noch. Mark hat mir Rückendeckung gegeben. Er ist ’n verdammt guter Schütze.« Russ schüttelte den Kopf. »Fowler stürzte zwischen den Schwellen durch.« Er betrachtete Clare so intensiv, dass sie glaubte, in seine Augen hineintauchen und auf den Grund stoßen zu können.
    »Es tut mir leid«, sagte sie.
    »Um Fowler oder um Mark?« Er hob die Hand. »Nein, bitte keine Antwort. Ich weiß schon. Um beide.« Er nahm seine Brille ab, um sie mit einem Zipfel der Decke zu putzen. »Als ich Sie so über die Brücke hab springen sehen …« Er schüttelte den Kopf. »Ich entschloss mich für den kürzesten Weg diese gottverdammte Schieferböschung runter. Wird mein Arsch noch vier Wochen lang spüren. ’tschuldigen Sie den Kraftausdruck.« Er schlang seinen Arm um Clare und zog sie dicht an sich. »Großer Gott, Clare, was dachten Sie sich bloß? Haben Sie überhaupt eine Ahnung, wie schnell man in so kaltem Wasser sterben kann? Wir hatten doch einen Taucher in Bereitschaft, Menschenskind.«
    »Ich wusste nicht, dass es so kalt sein würde«, antwortete sie, unbeherrschbar zitternd. Sie wies zu dem schreienden Baby. »Das da war die Sache wert.«
    Russ nickte. »Ja, war’s wohl.« Er schmunzelte schwach. Dann brach er in leises Gelächter aus.
    »Was ist?«
    »Verdammt, ich hab doch den Nagel auf den Kopf getroffen, als ich sagte, Sie stürzen sich rein, ohne nachzudenken …«

31
    A ls es dämmerte, war der kleine Parkplatz hinter St. Alban’s bereits voll. Hätte man sich ja denken können, an Heiligabend … Russ fuhr auf den Parkplatz gegenüber, nahm sein Päckchen mit und stapfte über die Elm Street auf das gotische, mit Kränzen geschmückte Portal zu. Der Pavillon auf dem Platz strahlte im Licht von Weihnachtslämpchen und den beleuchteten Schaufenstern der letzten Läden, die noch offen hatten, und einen Moment kam Russ sich vor wie nach 1962, als seine Welt noch heil und überschaubar war. Als Geschäfte nie schlossen, als eine Ehe noch für die Ewigkeit galt und keiner starb.
    Er schüttelte den Kopf über seine Gefühlsduseleien und zog an einem der kunstvollen Türringe aus gegossener Bronze. In der Kirche beschlug seine Brille, und er nahm sie ab. Der Geruch von Tannennadeln und Bienenwachs erfüllte die Luft, und im Chorgestühl erklang eine Solostimme. Sie stockte, fing noch einmal an und wiederholte die Passage.
    »Hey, Chief Van Alstyne. Wollen Sie auch mithelfen?«
    Er setzte die Brille wieder auf. Eine kaum wiederzuerkennende Kristen McWhorter sah ihm ins Gesicht. Sie trug einen Karton voll weißer Kerzen.
    »Kristen. Hi. Es überrascht mich, Sie hier zu sehen.«
    Das Mädchen schüttelte den Karton. »Reverend Clare hat mich rumgekriegt, beim Dekorieren zu helfen. Ich stelle die Kerzen auf. Fragen Sie bloß nicht!«
    Er grinste. »Okay.
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