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Das Weisse Kleid Des Todes

Das Weisse Kleid Des Todes

Titel: Das Weisse Kleid Des Todes
Autoren: Julia Spencer-Fleming
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Augenwinkeln erhaschte Clare einen Blick auf das Boot, das sich langsam der Brücke näherte. Sie machte noch einen Schritt vorwärts. Fowler begann den weinenden Säugling aus der Decke zu wickeln, und in diesem Moment wusste sie: Egal, was sie sagen oder tun würden, er würde Cody in den Kill werfen. Sie öffnete ihren Reißverschluss und schälte sich aus dem Parka. »Geben Sie mir das Baby, Colonel«, sagte sie und hielt ihm ihre Jacke hin. »Legen Sie es da rein.« Sie balancierte vornübergebeugt auf einer Gleisschwelle. »Ich verspreche Ihnen, ich werde mich darum kümmern, dass ihn die Burns bekommen. Er wird Wesleys akademische Laufbahn nie wieder stören.« Ihr Fuß rutschte aus dem Stiefel. Fast das Gleichgewicht verlierend, balancierte sie auf einem Bein, ließ aber Vaughn Fowler nicht aus den Augen.
    Er sah auf das Baby, das wütend in seiner Armbeuge strampelte. »Er hat so viel Verantwortungsgefühl, der Junge, das ist das Problem.« Clare fand mit ihrem freien Fuß Halt, krümmte ihre Zehen um die Kante der Gleisschwelle, während sie das andere Bein hob, um auch den zweiten Stiefel abzuschütteln. Er schlug an eine der Schwellen, fiel ihr vom Fuß, und einen Moment später hörte sie ein platschendes Geräusch.
    »Geben Sie ihr das Kind, Vaughn, und dann machen wir, dass wir hier wegkommen. Ihr Sohn braucht Sie.« Russ’ Stimme klang jetzt viel näher. Clare konnte ihn fühlen, fast greifbar nah hinter sich: seine Ausstrahlung von Kraft und Sicherheit.
    Vaughn atmete tief ein, als genösse er den Geschmack der Luft. »Wes verkörpert die fünfte Generation, die West Point besucht. Sagte ich Ihnen das schon?«
    Clare nickte. »Ja, Sir, das sagten Sie.«
    Er sah ihr in die Augen, nüchtern, abschätzend. »Es ist etwas Schönes, das Leben als Soldat.« Er zuckte mit den Schultern, und mit einer raschen Bewegung seiner Arme warf er Cody über die Brücke.
    Der Parka rutschte aus Clares Griff, während Russ rief: »Runter, Clare!« Sie kam nicht zum Nachdenken. Sie sprang über das Geländer, und ihre Schienbeine schrammten am Eisen entlang, der Wind biss ihr in die Augen, dass sie tränenblind wurde, dann war sie unter Wasser, und es war kalt, kälter, als sich mit Worten ausdrücken ließ. Sie folgte ihren Luftbläschen hinauf zu dem fahlen Sonnenschein, durchbrach die Oberfläche, war aber außerstande zu atmen, weil ihre Lungen sich unter dem Temperaturschock zusammenkrampften. Sie hörte Gebrüll, einen Motor, Schüsse. Denken war fast unmöglich, das Bewusstsein auf etwas zu konzentrieren noch unmöglicher. Sie sah keinen Cody; kein Kind weit und breit. Mit einem Schluchzen schluckte sie einen Mund voll Luft, zwang ihr Herz und ihre Lungen, zu arbeiten, und tauchte erneut. Sie spürte das Stampfen des Bootsmotors, ihr Körper war wie ein einziger Schmerz. Sie schraubte sich durch das klare Wasser, bis etwas Weißes vor ihr aufblitzte, als sie aber die Oberfläche durchbrach, war es ein Klumpen Eis und Schnee. Irgendjemand brüllte ihren Namen. Sie tauchte noch einmal ab, und der Schmerz verschärfte sich, obwohl sie sich nicht hatte vorstellen können, dass es noch schlimmer würde.
    Da sah sie ihn: Cody. Er trieb so nah unter dem Wasserspiegel, dass die Sonne Kringel auf seinen eisblauen Strampelanzug malte. Gegen den Zug ihres Rocks ankämpfend, stieß sich Clare durch die Fluten, und die Zeit strömte an ihr vorbei wie Luftblasen. Dann erreichte sie die winzige Gestalt, packte Cody, tauchte wieder auf und hob sein Köpfchen über Wasser, während sie strampelnd ihre Position hielt. »Hier!«, kreischte sie. »Hier! Ich hab ihn!«
    Der Lärm des Bootes war auf allen Seiten, dennoch staunte sie, als sie sich umdrehte und es sah; es drosselte den Motor und glitt neben sie. Hände streckten sich aus, viele Hände, und sie hielt Cody hoch, der in Windeseile verschwand. Noch mehr Hände griffen nach ihr, packten sie an den Armen, und sie wurde eingeholt wie ein Fisch, zappelte und zuckte auf dem Boden des Bootes, bis jemand ihr eine Thermodecke überwarf und sie darin einwickelte. Sie sah einen Mann, der halb in einem Taucheranzug steckte und Cody beatmete; sein Mund bedeckte einen Großteil vom Gesicht des Babys.
    »Los, Sie müssen atmen.«
    »Schaffen Sie uns rüber ans Ufer, um Gottes willen, damit wir den Chief aufgabeln können; der friert sich ja zu Tode.«
    »Schnell, verständigt über Funk das Bezirkskrankenhaus, sagt, wir kommen mit Unterkühlungsfällen.«
    »Ich hab noch eine Decke,
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