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Das weiße Grab

Das weiße Grab

Titel: Das weiße Grab
Autoren: Lotte Hammer , Søren Hammer
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der letzten Nacht hatte er vor Unruhe und Wut auf sich selbst kaum schlafen können. Die Gedanken hatten sein Hirn zum Kochen gebracht, bis die ersten Vogelstimmen seine Schlaflosigkeit verhöhnten. Das Schlimmste war aber, dass seine Beine keine Ruhe fanden, was er auch anstellte. Im Laufe des Vormittages hatte er sich immer wieder hoch und heilig versprochen, sich einen Termin beim Polizeipsychologen geben zu lassen, aber auch daraus war nichts geworden. Wie aus so vielen seiner Vorsätze. Stattdessen hatte er am Nachmittag einen anderen Termin gemacht, um sich selbst mit seinen Schuldgefühlen zu konfrontieren. Was auch immer dabei herauskam.
    »Soll ich unten anrufen und sagen, dass du dich verspätest?«
    Die Comtesse, die hinter ihm saß und ihn mit besorgter Miene musterte, klang ruhig. Er roch ihr Parfüm, frisch, optimistisch und vernünftig wie sie selbst. Er fühlte sich wie ausgekotzt oder wie etwas, womit man Fische fütterte. Als er nicht antwortete, argumentierte sie weiter: »Wir können es um eine halbe Stunde verschieben, das macht doch keinen Unterschied. Wir sollten uns nicht so unter Druck setzen, die Sache ist so schon schlimm genug.«
    »Lass sie doch warten, verdammt«, fauchte Konrad Simonsen.
    »Ja, ein bisschen können wir sie noch warten lassen, das tut ihnen nur gut.«
    »Warum muss das eigentlich wieder so ein Volksauflauf sein? Das ist doch vollkommen verrückt. Ursprünglich war das als interne Besprechung geplant. Als Informationsrunde. Wie soll ich denn arbeiten, wenn alle immer zu meinen Besprechungen rennen?«
    »Genau, das ist wirklich nicht gut.«
    »Hör auf, mir nach dem Mund zu reden, kannst du nicht selbst denken?«
    Es folgte beklommene Stille.
    Was sollte er mit all dieser Fürsorge von Fremden, die wie ein Echo seines eigenen Selbstmitleids über ihn schwappte? Die Wut über das endlose Verständnis und die boshafte Geduld seiner Umwelt kochte in ihm hoch, und er schloss für einen kurzen Moment die Augen, bevor er sich mit aller Kraft zusammenriss.
    »Entschuldige, Comtesse, das habe ich nicht so gemeint.«
    »Ich weiß. Ist schon in Ordnung, ich bin ja nicht aus Glas.«
    Es war eine ihrer guten Eigenschaften, sich nicht so schnell provozieren zu lassen. Sonst wäre ihre Beziehung schon längst zu Ende gewesen. So aber dauerte sie fort; zart, vorsichtig, wie bei zwei Dreizehnjährigen, die sich langsam einander annäherten. Mit kleinen zaghaften Schritten.
    »Ich weiß schon gar nicht mehr, wie oft ich mich in den letzten vier Tagen entschuldigt habe – ich entschuldige mich bald bei jedem, mit dem ich rede. Das muss für euch doch unerträglich sein«, sagte Konrad Simonsen traurig.
    »Mach dir darüber keine Gedanken, Konrad. Konzentrier dich. Ich rufe jetzt unten an und sage, dass du dich verspäten wirst.«
    Er ließ sie gewähren. Was sie tat, war angemessen und vernünftig. Als sie die Nachricht durchgegeben hatte, kam er wieder auf die ungebetenen Gäste zu sprechen, die sich für die Dienstbesprechung angekündigt hatten.
    »Was ist das eigentlich für ein Typ, der da aus dem Außenministerium kommt?«
    »Irgend so ein hohes Tier, ich glaube, ein Abteilungsleiter. Seinen Namen kenne ich nicht – das heißt, ich erinnere mich nicht daran. Es gibt aber Gerüchte, dass das Büro des Polizeipräsidenten vollkommen außer sich über seine Teilnahme ist. Sie empfinden seine Anwesenheit als eine ungebührliche Einmischung, aber irgendjemand muss sie überstimmt haben.«
    »Wirklich seltsam, das Ganze. Und mit welcher Begründung? Wieder wegen dieser Kanzlerin? Das macht doch keinen Sinn, das passt doch nicht zusammen.«
    »Die Deutschen, die Amerikaner, die Grönländer, es gibt nur Vermutungen, niemand weiß wirklich etwas.«
    »Kannst du versuchen, das rauszukriegen, Comtesse? Ich würde gerne verstehen, was da hinter den Kulissen meiner eigenen Ermittlungen vor sich geht.«
    »Ja, kann ich machen.«
    Plötzlich ließ Konrad Simonsen sich zu dem ersten Lächeln des Tages hinreißen und sagte beinahe munter: »Darum habe ich dich doch schon gestern gebeten, oder?«
    »Einen guten Befehl kann man nicht oft genug geben.«
    Sie lächelten beide, und die Stimmung lockerte sich. Dann ließ Konrad Simonsen sich schwer auf seinen Stuhl fallen.
    »Du bist dir schon im Klaren darüber, auf was das alles hinauslaufen wird?«
    »Wir alle haben die Akten des Stevns-Mordes gelesen, und niemand zweifelt daran, wie unangenehm das für euch, die ihr damals daran gearbeitet habt, sein
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