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Das weiße Grab

Das weiße Grab

Titel: Das weiße Grab
Autoren: Lotte Hammer , Søren Hammer
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Wissenschaftler. Sie sorgte sogar dafür, dass er an ihrer Seite saß, als die Maschine über das Inlandeis flog, und war bald darauf tief in ein wissenschaftliches Gespräch mit ihm verstrickt, dem die Ministerin mit ihrem Schuldeutsch kaum noch folgen konnte. Sie spürte die Müdigkeit und musste sich in den Arm kneifen, um nicht einzuschlafen. Unter ihnen war nur eintöniges Eis, und auch der Sekretär neben ihr war bereits eingeschlafen und stieß hin und wieder leise Grunzlaute aus. Sie fragte sich, ob sie ihn anstoßen sollte, gab den Gedanken aber auf und holte ein Magazin aus der Tasche, um sich damit wach zu halten. Doch nachdem sie einige Minuten uninspiriert darin geblättert hatte, schlief auch sie ein.
    Gut eine Stunde später wurde die Ministerin abrupt geweckt. Der Glaziologe rief etwas und deutete wild gestikulierend aus dem Fenster. Auch die Kanzlerin hatte sich aus ihrem Sitz erhoben, zeigte energisch nach draußen und befahl dem Helikopterpiloten zurückzufliegen.

[home]
    1
    D er leitende Kriminalhauptkommissar Konrad Simonsen blinzelte in die Polarsonne, die tief über dem langgestreckten Horizont stand. Ganz hinten, dort, wo Himmel und Eis miteinander verschmolzen, leuchtete die Welt in klaren Pastellfarben grün und blau, als wollte die Natur zum Ausdruck bringen, dass es weit dort hinten eine freundlichere Welt gab als diejenige, in der sie sich befanden. Was für ein verrückter Ort, um sein Leben auszuhauchen! An einer solchen Stelle ermordet zu werden kam ihm vollkommen verrückt und deplaziert vor. Er versuchte den Gedanken beiseitezuschieben – er war sinnlos und dumm –, denn diese Frage konnte dem Opfer egal sein. Eine Zeitlang betrachtete er seinen langgezogenen Schatten vor sich auf dem Eis. Er streckte den Arm aus und fuhr mit dem Schatten ein paar dünne Spalten im Eis ab, bis sein Arm müde wurde und er ihn wieder sinken ließ. Dann blickte er in die fahle Sonne, die eher Kälte als Wärme auszustrahlen schien. Irgendwie war ihm unwohl. Die Sonne sollte auf- und untergehen und nicht monoton am Himmel kreisen und Tag und Nacht vermischen. In einem vergeblichen Versuch, die Müdigkeit zu verdrängen, riss er die Augen auf und drehte sich in den Wind. Alles zusammengerechnet, hatte er in den letzten zwei Tagen nicht viel mehr als drei Stunden geschlafen, und es kam ihm vollkommen widersinnig vor, dass schon wieder ein neuer Tag angebrochen war. Er rieb sich langsam über das Gesicht und genoss für einen Augenblick die Dunkelheit. Ob sie an Frühlingsblumen gedacht hatte, an warme, weiße Sandstrände oder vielleicht an das Sonnwendfeuer, bevor es aus gewesen war? Wohl kaum. Trotzdem empfand er es fast als demütigend, hier draußen im Nichts sterben zu müssen, an einem Platz, an dem die Welt viel zu groß war und kein lebendes Wesen etwas verloren hatte. In gewisser Weise hatte ihr Mörder sie damit gleich doppelt geschändet.
    Er sah auf seine Uhr: es war kurz nach halb acht, dänische Zeit. Wie spät es hier in Grönland war, konnte er nicht sagen. Er unterdrückte ein Gähnen und dachte, dass er eigentlich viel zu erschöpft zum Arbeiten war. Am Morgen hatte er vergessen, seine Pillen zu nehmen, oder genauer – warum sollte er sich selbst belügen –, er hatte zum wiederholten Male vergessen, seine Pillen zu nehmen. Und langsam begann er auch die Konsequenzen zu spüren. Er hätte unheimlich gern eine Zigarette geraucht oder wenigstens eine halbe, um die Müdigkeit für einen Moment zu verdrängen, auch wenn er wusste, dass er eigentlich nicht rauchen durfte. Routiniert klopfte er sich auf die Brust, um sich zu vergewissern, dass er eine Schachtel in der Hemdtasche hatte, entschloss sich dann aber, wenigstens noch ein paar Minuten standhaft zu bleiben und die Vorfreude auszukosten. Vor einem Jahr – oder waren es inzwischen zwei? – war Diabetes bei ihm diagnostiziert worden. Diese Krankheit und sein besorgtes privates Umfeld hatten ihn dazu gezwungen, sein Leben umzustellen oder wenigstens den Versuch dazu zu unternehmen.
    Eine innere Unruhe ließ ihn noch einmal einen Blick auf die Uhr werfen, doch das Resultat war wie beim letzten Mal dasselbe und half ihm nicht, so dass er sich an seinen Nebenmann wandte und fragte: »Wissen Sie, wie spät es ist?«
    Der grönländische Kommissar warf einen kurzen Blick auf die Sonne und antwortete: »Etwa drei.«
    Er war ein Mann ohne überflüssige Worte, was ihm das Warten nicht gerade erleichterte. Sein Name war Trond Egede, aber
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