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Das wandernde Feuer

Titel: Das wandernde Feuer
Autoren: Guy Gavriel Kay
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bitten mussten? »Den Namen!« forderte Kimberly in das Pfeifen des Windes hinein, und sie hob den Ring hoch über ihr Haupt, um ihn zu unterwerfen.
    Und nachdem er bezwungen war, nannte er ihn ihr, und es hatte den Anschein, als würden überall die Sterne vom Himmel fallen, und sie hatte sie zu ihrem Sturz veranlasst mit dem, was sie war.
    Flammend rot war sie, ungezügelt war sie, die Nacht konnte sie nicht aufhalten. Sie würde emporsteigen, um wie rotes Mondlicht von oben herabzufallen, doch nicht hier. An einem anderen Ort, am letzten Ort, an der Ruhestätte.
     
    Hoch über dem Meeresspiegel lag er. Hoch genug, um einst eine Insel in einem See wie Glas gewesen zu sein. Dann waren in ganz Somerset die Wasser zurückgewichen und hatten eine Ebene hinterlassen, wo dereinst der See gewesen war, und einen Hügel mit sieben Kuppen, der sich aus dieser Ebene erhob. Ist jedoch ein Ort früher einmal eine Insel gewesen, dann hält sich dort das Andenken an Wasser, an den Zauber des Wassers, ganz gleich, wie weit das Meer entfernt sein mag oder wie lange es her ist, dass es sich zurückgezogen hat.
    Und dies traf zu auf Glastonbury Tor, das man zu seiner Blütezeit Avalon genannt und das drei Königinnen gesehen hatte, welche einen sterbenden König an seine Gestade ruderten.
    Insoweit kamen die überlieferten Legenden der Wahrheit nahe, doch in jeder anderen Hinsicht waren sie ihr so fern, dass allein das schon Anlass zur Trauer gab. Kim blickte sich auf der höchsten Kuppe stehend um, und da sah sie den neuen Mond im Osten über der weiten Ebene aufgehen. Der Baelrath begann immer schwächer zu leuchten, noch während sie in diesen Anblick versunken war. Und damit versiegte auch die ungestüme, in ihrem Innern umherwirbelnde Kraft, die sie hierher geführt hatte.
    Eines blieb ihr zu tun, solange das Leuchten noch vorhielt, und indem sie den Ring emporstreckte, wandte sie sich, ein Fanal in der Nacht, um in Richtung Stonehenge, das jetzt in weiter Ferne lag. Sie sandte ihre Gedanken aus, wie sie es schon einmal getan hatte, doch nun fiel es ihr leichter, sie war sehr stark in dieser Nacht, und sie fand die vier versammelt, Kevin und Paul, Jennifer und Dave, und ehe der Kriegsstein erlosch, sandte sie sie nach Fionavar mit dem letzten roten Funken, den Stonehenge in ihm entfacht hatte.
    Dann wurde aus dem Licht, das sie trug, nichts als ein Ring an ihrem Finger, und es wurde dunkel auf dem windigen Gipfel des Tors.
    Es gab genug Mondlicht, dass sie die Kapelle erkennen konnte, die dort an die siebenhundert Jahre zuvor errichtet worden war. Sie hatte zu zittern begonnen, und nicht nur vor Kälte. Der flammende Ring hatte sie aufgerichtet, hatte ihr eine Entschlossenheit verliehen, zu der sie sonst nicht fähig war. Nun war sie einfach Kim Ford, so schien es ihr zumindest, und sie fühlte sich eingeschüchtert von diesem Grabhügel aus alter Zeit, dem hier mitten in Somerset nach wie vor ein Geruch anhaftete wie von einer Meeresbrise.
    Sie stand kurz davor, etwas Schreckliches zu tun, ein zweites Mal das Räderwerk eines Fluchs in Gang zu setzen, der so alt war, dass er den Wind selber jung erscheinen ließ.
    Doch da war dieser Berg gewesen, im Nordland Fionavars, und einst war darin ein Gott gefangen gehalten worden. Dann war das Massiv mit so ungeheurer Wucht zerborsten, das es nur eines bedeuten konnte, und in der Tat lag Rakoth der Entwirker nicht länger in Ketten. Die Macht war so groß, welche über sie hereinbrach, und wenn Fionavar verloren war, würden sämtliche Welten Maugrim anheimfallen, und das Gewirk auf dem Webstuhl der Welten würde so zerfetzt und unentwirrbar werden, dass der Schaden nicht mehr zu beheben war.
    Sie dachte an Jennifer in Starkadh.
    Sie dachte an Ysanne.
    Nachdem der Ring an ihrer Hand zur Ruhe gekommen war, verfügte sie über keine andere Macht als den Namen, den sie kannte, schrecklich und gnadenlos, und sie besann sich auf die Notwendigkeit, an diesem hochgelegenen, düsteren Ort Stärke zu zeigen, und sprach mit ihrer eigenen Stimme das eine Wort aus, auf das der Krieger zu antworten gezwungen war:
    »Kindsmörder!«
    Und dann schloss sie die Augen, denn der Tor, ja die gesamte Ebene von Somerset schien sich wie im Todeskrampf zu schütteln. Ein Laut erhob sich, Wind, Leid, traurige Musik. Jung war er gewesen und furchtsam, hatte der tote Vater gesagt – und die Toten sagten die Wahrheit oder blieben stumm –, denn Merlins Prophezeiung hatte dem schimmernden Traum ein Grabgeläut
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