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Das wandernde Feuer

Titel: Das wandernde Feuer
Autoren: Guy Gavriel Kay
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den weißen Locken blickten ein wenig wirr, und ihr Gesicht war totenblass. Auf ihrer Stirn zeigte sich eine einzelne senkrechte Falte. Sie hob die Hände; sie steckten in Handschuhen.
    »Vor fünf Minuten hat er zu glühen angefangen«, erklärte sie. »Es ist Zeit, denke ich.«
     
    Und so war sie an jenen Ort gekommen, und es war in der Tat an der Zeit, hier und jetzt sich zu offenbaren, den Baelrath zu zeigen, wie er mit tiefrotem Leuchten seine Macht kundtat. Der Kriegsstein war er, gefunden, nicht von Menschenhand geschaffen, und vollkommen unberechenbar, doch es herrschte Krieg, und der Ring erwachte zum Leben, trug sie mit sich fort, vorbei an den hohen, von Dunkelheit umhüllten Steinen, dem umgestürzten, dem schiefstehenden, bis hin zum höchsten aller Quersteine. Dort hielt sie inne.
    Hinter ihr ertönte Geschrei. Weit hinter ihr. Doch die Zeit war gekommen. Und Kim hob die Hand vor ihr Gesicht und rief mit kalter Stimme, die keine Ähnlichkeit mit der Stimme hatte, die sie benutzte, wenn ihr gestattet war, sie selbst zu sein, nur Kim, und sprach in das Schweigen, in die lauernde Stille hinein Worte von ungeheuerlicher Macht, um die Toten jenseits der Mauern der Ewigen Nacht herbeizurufen.
    »Damae Pendragon! Sed Baelrath riden log verenth. Pendragon rabenna, nisei damae!«
    Der Mond war noch nicht aufgegangen. Inmitten der uralten Quadern leuchtete der Baelrath heller als jeder Stern. Er tauchte die gigantischen steinernen Zähne in gespenstisches Licht. An seiner Strahlkraft war nichts Zartes oder Mildes, nichts, das von Schönheit zeugte. Sie war gekommen, um Zwang auszuüben, vermittels jener Macht, die sie mitbrachte, und des Geheimnisses, von dem sie wusste. Sie war gekommen zum Zwecke der Anrufung.
    Und dann, als ein Luftzug aufkam, wo zuvor keiner gewesen war, wusste sie auch, dass es ihr gelungen war.
    Sie stemmte sich dem Wind entgegen, den Baelrath vor sich erhob, und sah genau in der Mitte des Monuments eine Gestalt auf dem Altarstein stehen. Groß war sie und düster, in Dunst gehüllt wie in ein Leichentuch, nur zur Hälfte Fleisch geworden im Zwielicht der Sterne und des Kriegssteins. Sie kämpfte gegen seine Anziehungskraft, gegen den Sog; er war so lange tot gewesen, und sie hatte ihn zur Auferstehung gezwungen.
    Hier war kein Raum für Kummer, und hätte sie Schwäche gezeigt, hätte das die Anrufung unterbrechen können. Sie sprach zu ihm:
    »Uther Pendragon, höre auf mich, denn ich befehle deinem Willen!«
    »Erteile mir keine Befehle, ich bin ein König!« Seine Stimme war schrill, bis zum äußersten gedehnt am Faden der Jahrhunderte, doch nach wie vor gebieterisch.
    Kein Raum für Gnade. Gar keiner. Sie wappnete ihr Herz dagegen. »Du bist tot«, schleuderte sie ihm kaltblütig entgegen, inmitten des kalten Windes. »Und dem Stein unterworfen, den ich trage.«
    »Wie käme ich dazu?«
    Der Luftzug wurde stärker. »Um Ygraines willen, die du hintergangen, um eines Sohnes willen, den du treulos gezeugt hast.« Die alte, alte Sage.
    Uther richtete sich zu seiner vollen Größe auf, und er ragte hoch empor über sein Grabmal. »Hat er sich etwa nicht über alle Maßen herrlich erwiesen?«
    Kimberly blieb unerbittlich: »Und dennoch«, und war nun von einer Qual erfüllt, gegen die kein Wappnen half. »Ich will ihn bei jenem Namen rufen, den du hütest.«
    Der tote König streckte den Sternen, die ihnen zusahen, die Hände entgegen. »Hat er denn nicht genug gelitten?« rief der Vater mit einer Stimme, die den Wind übertönte.
    Und hierauf gab es keine passende Antwort, also sagte sie: »Ich habe keine Zeit, Uther, und er wird gebraucht. Beim Leuchten meines Steins nötige ich dich – wie lautet der Name?«
    Sie konnte die Unbeugsamkeit in seinem Gesicht erkennen und stählte sich, damit er die Unentschlossenheit nicht an dem ihren ablese. Er leistete ihr Widerstand; sie konnte spüren, wie die Erde ihn fortzuzerren versuchte, in die Tiefe.
    »Kennst du den Ort?« fragte Uther Pendragon.
    »Ich kenne ihn.«
    Und in seinen Augen sah sie, wie durch Nebel oder Rauch, das Wissen, dass sie ihn kannte und Uther mit Hilfe des Baelrath bezwingen würde. Ihre Seele wand sich vor Schmerz bei diesem Anblick. So stahlhart konnte sie nicht sein, wie es schien.
    Er, verzweifelnd: »Er war noch jung, als es geschah. Und furchtsam, wegen der Prophezeiung. Kann man denn kein Mitleid mit ihm haben? Gibt es denn kein Erbarmen?«
    Wer war sie schon, dass die stolzen Könige der Toten so flehentlich
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