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Das wahre Wesen der Dinge (German Edition)

Das wahre Wesen der Dinge (German Edition)

Titel: Das wahre Wesen der Dinge (German Edition)
Autoren: Ted Chiang
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Bildbearbeitung noch nie viel zustande gebracht, wenn ich gleichzeitig telefoniert habe. Aber dieses Mal konnte ich mich mühelos auf beides gleichzeitig konzentrieren. Nehmen die Überraschungen denn gar kein Ende mehr? Nachdem die Albträume aufgehört haben und ich ruhiger geworden bin, ist mir als Erstes aufgefallen, dass ich inzwischen viel schneller lesen und Texte verstehen kann. Ich bin nun tatsächlich in der Lage, die Bücher in meinem Regal zu lesen, die ich mir immer vorgenommen hatte, für die dann aber stets die Zeit fehlte – sogar die schwierigeren, technischen Sachen. Damals auf dem College hatte ich mich damit abgefunden, dass ich nicht alles lernen konnte, was mich interessierte. Die Feststellung, dass ich das vielleicht doch kann, ist berauschend; als ich neulich ein paar Bücher gekauft habe, war ich geradezu aufgekratzt.
    Und jetzt stellt sich heraus, dass ich mich auf zwei Dinge gleichzeitig konzentrieren kann, was ich nie gedacht hätte. Ich stehe vom Schreibtisch auf und stoße einen Jauchzer aus, als hätte meine Lieblings-Baseballmannschaft einen Triple hingelegt. Denn genau so fühlt es sich an.
    Dr. Shea, der Leiter der Neurologie, hat meinen Fall übernommen, vermutlich, weil er die Lorbeeren dafür einheimsen möchte. Ich kenne ihn kaum, aber er führt sich auf, als wäre ich schon seit Jahren bei ihm in Behandlung.
    Er bittet mich zum Gespräch in sein Büro, verschränkt die Finger und stützt die Ellenbogen auf den Schreibtisch. »Was halten Sie von der Zunahme Ihrer Intelligenz?«, fragt er.
    Was für eine idiotische Frage. »Ich freue mich sehr darüber.«
    »Gut«, sagt Dr. Shea. »Bisher haben wir bei der Hormon-K-Therapie keine nachteiligen Nebenwirkungen festgestellt. Wegen der Hirnschädigung durch Ihren Unfall brauchen Sie nicht mehr behandelt zu werden.« Ich nicke. »Wir führen jedoch eine Studie durch, weil wir mehr darüber erfahren wollen, wie das Hormon sich auf die Intelligenz auswirkt. Wenn Sie einverstanden sind, würden wir Ihnen gerne eine weitere Dosis des Hormons spritzen und die Wirkung protokollieren.«
    Mit einem Mal bin ich hellwach. Endlich etwas, bei dem sich das Zuhören lohnt. »Einverstanden.«
    »Sie verstehen doch, dass dies nur wissenschaftlichen Zwecken dient und keine medizinische Behandlung ist. Möglicherweise profitieren Sie davon durch eine weitere Zunahme Ihrer Intelligenz, aber in medizinischer Hinsicht ist es nicht notwendig.«
    »Das ist mir klar. Sicherlich muss ich eine Einverständniserklärung unterschreiben.«
    »Ja. Außerdem können wir Ihnen für die Teilnahme an der Studie eine Aufwandsentschädigung anbieten.« Er nennt eine Summe, aber ich höre kaum zu.
    »In Ordnung.« Ich versuche mir vorzustellen, wo das hinführt, was es möglicherweise für mich bedeutet, und werde ganz aufgeregt.
    »Wir möchten Sie außerdem bitten, eine Verschwiegenheitsverpflichtung zu unterschreiben. Dieses Medikament ist natürlich höchst interessant, aber wir möchten nicht zu früh damit an die Öffentlichkeit gehen.«
    »Natürlich. Hat schon einmal jemand zusätzliche Injektionen bekommen?«
    »Selbstverständlich, Sie sind hier kein Versuchskaninchen. Ich versichere Ihnen, bisher gab es keinerlei schädliche Nebenwirkungen.«
    »Wie war die Wirkung bei den anderen?«
    »Wir möchten lieber keine Erwartungen bei Ihnen wecken, sonst könnte es sein, dass Sie genau die Symptome entwickeln, von denen ich Ihnen erzähle.«
    Shea gefällt sich wohl in der Rolle des allwissenden Arztes. Ich bleibe hartnäckig. »Können Sie mir wenigstens sagen, wie stark die Intelligenz bei den anderen gewachsen ist?«
    »Jeder Mensch ist anders. Sie sollten nicht von dem ausgehen, was andere erlebt haben.«
    Ich lasse mir meine Frustration nicht anmerken. »Also gut.«
    Wenn Shea mir nichts über die Hormon-K-Therapie verraten will, finde ich es eben auf eigene Faust heraus. Vom Terminal in meiner Wohnung aus klicke ich mich zur öffentlich zugänglichen Datenbank der Arzneimittelbehörde durch und durchforste die Anträge für klinische Studien.
    Der Antrag für Hormon K wurde von Sorensen Pharma eingereicht, einer Firma, die für die Regeneration von Nervenzellen im zentralen Nervensystem synthetische Hormone entwickelt. Ich überfliege die Ergebnisse der Tests, die man an Hunden nach Sauerstoffentzug durchgeführt hat, dann die Versuche mit Pavianen. Alle Tiere wurden vollständig wiederhergestellt. Die Toxizität war gering, und in der Langzeitstudie zeigten
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