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Das Vorzelt zur Hölle: Wie ich die Familienurlaube meiner Kindheit überlebte

Das Vorzelt zur Hölle: Wie ich die Familienurlaube meiner Kindheit überlebte

Titel: Das Vorzelt zur Hölle: Wie ich die Familienurlaube meiner Kindheit überlebte
Autoren: Tommy Krappweis
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Abzweigung falsch gefahren und dadurch jetzt auf der Passhöhe des 2315 Meter hohen Albulapasses standen!
Das erklärte auch die Beschwerlichkeit der Strecke. Da wir ganz schön erschöpft waren, bestellte mein Freund für jeden von uns einen Kaffee und ein Hörnchen. So saßen wir kurze Zeit später vor unseren ersten Espresso-Tassen und hatten noch nie so viel Geld für einen so einen kleinen Kaffee ausgegeben. Weil aber das Hörnchen sehr trocken war, bestellte ich noch zwei weitere Mini-Kaffees. Die belebende Wirkung von Espresso war uns beiden nicht bekannt.
Nachdem wir uns ein bisschen aufgewärmt hatten, beschlossen wir, wieder ein Stück zurück in Richtung der verpassten Abzweigung zu fahren, um uns einen geeigneten Schlafplatz zu suchen. Es war allerdings nicht so einfach, die nächtliche Passstraße mit den vielen Serpentinen im Dunkeln hinunterzufahren. Unsere kleine Stab-Taschenlampe war uns dabei keine besonders große Hilfe. Machten wir sie am Lenker fest, leuchtete sie meistens irgendwohin, wo sie uns nichts nützte. In den Händen konnten wir sie natürlich auch nicht halten, denn die brauchten wir ja zum Lenken und vor allem, um mit beiden Händen zu bremsen.
Also nahm der Vorausfahrende die Lampe einfach in den Mund. So konnte er durch die Bewegung des Kopfes überall hinleuchten, wo es notwendig war. Das war zwar auf die Dauer sehr unangenehm, aber im Moment die praktikabelste Lösung.
Der andere fuhr einfach hinter dem kleinen Lichtkegel her.
Immer wieder jammerte der Peter, dass er jetzt fürchterlich müde sei und endlich schlafen wolle. Ich jedoch war dank der drei Espressi ganz schön putzmunter und wollte unbedingt noch weiterfahren.
Und dann passierte es: Peter war gerade dran mit der Mundlampe, und ich fuhr hinterher. Doch als er vor mir um eine scharfe Linkskurve verschwand, ratterte plötzlich etwas hinter mir. Bis ich reagieren und bremsen konnte, blockierte auch schon mein Hinterrad, ich stürzte und überschlug mich mehrmals. Der finale Aufprall nahm mir kurzzeitig die Luft zum Atmen, und es dauerte wertvolle Sekunden, bis ich in der Lage war, mich aufzurappeln. Ich sah sofort, dass sich eine der Packtaschen in den Speichen meines Hinterrades verfangen hatte. Erst als ich hektisch versuchte, die Tasche wieder aus den Speichen zu lösen, stellte ich das tatsächliche Ausmaß des Schadens fest. Nicht nur war die Tasche aufgerissen und der Inhalt über die Straße verstreut, nein, es hatte sich auch noch eine Radrennhose in das Hinterrad gewickelt. Ich entfernte das Kleidungsstück und erkannte, dass zusätzlich noch eine Speiche gerissen und zwei weitere verbogen waren.
Das größte Problem aber war: Mein Freund Peter hatte von meinem Sturz gar nichts bemerkt und war natürlich weitergefahren! Ich wurde nervös.
So schnell wie möglich suchte ich meine Sachen auf der Straße zusammen, stopfte alles in die unbeschädigte Packtasche, in den Rucksack und in meine Trikottaschen.
Dann entfernte ich die gerissene Speiche, band die kaputte Tasche mit den Ärmeln eines Sweatshirts so am Gepäckträger fest, dass nichts mehr passieren konnte, sprang wieder auf mein Rad und fuhr los. Im ersten Moment wusste ich nicht, ob es meine Beine waren, die so zittern, oder ob das Hinterrad wegen der fehlenden Speiche eierte. Trotzdem versuchte ich so schnell wie möglich, in stockfinsterer Nacht die steile Passstraße mit ihren scharfen Serpentinen hinunterzufahren. Ich raste den Berg hinunter wie ein Geschoss, erkannte immer erst recht spät die Schemen der Bäume und schloss daraus, dass das nun wieder eine Kurve bedeutete. Der Espresso zusammen mit dem Adrenalin, der Geschwindigkeit und der Panik, meinen Freund Peter vielleicht nicht mehr wiederzufinden, ließ mich alle Vorsicht vergessen.
Endlich, nach einer endlos erscheinenden Abfahrt im Höllentempo, hörte mein Blut auf zu rauschen, und ich wurde etwas langsamer. Schließlich erkannte ich in der Dunkelheit sogar das Schild mit der Aufschrift »St. Moritz«, wo wir heute Nachmittag wohl falsch abgebogen waren. Erschöpft schob ich mein Rad unter eine nahe gelegene Straßenlaterne und setzte mich stöhnend darunter. Da hockte ich nun, allein mit einem kaputten Hinterrad, einer zerrissenen Packtasche, ohne Karte, ohne Licht und ohne Peter. War er weitergefahren? Wartete er vielleicht schon nach der nächsten Kurve auf mich? Oder war ihm vielleicht auch etwas passiert, und er lag am Fuße irgendeiner Schlucht, weil der kleine Lichtkegel seiner
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