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Das Vorzelt zur Hölle: Wie ich die Familienurlaube meiner Kindheit überlebte

Das Vorzelt zur Hölle: Wie ich die Familienurlaube meiner Kindheit überlebte

Titel: Das Vorzelt zur Hölle: Wie ich die Familienurlaube meiner Kindheit überlebte
Autoren: Tommy Krappweis
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verzichteten wir darauf. Stattdessen hatte jeder von uns eine Plastiktischdecke, eine Wolldecke und das Allernotwendigste an Kleidung dabei. Wir hatten uns vorgenommen, einfach jeden Tag so lange zu radeln, bis wir müde waren, um dann an dem Ort, wo wir uns gerade befanden, einfach unsere Plastikdecke auszubreiten und unter den Wolldecken im Freien zu übernachten.
Schon am ersten Tag kam es zu einer von vielen Pannen. Allem Anschein nach waren die beiden Packtaschen und der kleine Rucksack für meinen superleichten Gepäckträger aus Aluminium doch etwas zu schwer oder die Fliehkraft in den Kurven auf der rasanten Abfahrt vom Fernpass zu groß. Auf jeden Fall brach schon nach hundertsechzig Kilometern kurz vor Landeck die linke Seitenstrebe an der unteren Befestigung. Weil wir auf unseren Rennrädern keine Schutzbleche montiert hatten, streifte das Gepäck jetzt direkt auf dem Hinterreifen. An eine Weiterfahrt war nicht zu denken. Zudem hatte am Sonntag auch kein Radgeschäft geöffnet, wo wir einen neuen Gepäckträger hätten kaufen können. Also waren wir gezwungen, hier zu übernachten.
Da wir zufällig direkt vor einer netten Pension standen, einigten wir uns, die erste Nacht nicht auf unserem geplanten Notlager, sondern erst einmal in einem richtigen Bett zu schlafen. Bis es so weit war, hatten wir aber einen Nachmittag totzuschlagen, und so saßen wir bald gemütlich in der Sonne auf dem Balkon unserer Pension und aßen Wurstbrote, die uns unsere Wirtin hergerichtet hatte. Dieser Abschnitt meines zweiten Urlaubs hätte meinem Sohn Tommy vermutlich auch ganz gut gefallen.
Ich kann mich außerdem erinnern, dass wir unsere müden Beine wie damals üblich mit Franzbranntwein massierten. Unter uns im Garten scharrten einige Hühner, und irgendwann kamen wir auf die naheliegende Idee, unser Brot mit Franzbranntwein zu tränken und dann zu den Hühnern hinunterzuwerfen.
Die Hühner waren schier verrückt danach, und wir lachten bei der Vorstellung, dass in den Eiern morgen anstatt Eidotter vielleicht Eierlikör sein würde. Als dann aber alle Hühner ebenso schlagartig wie bewegungslos auf der Erde herumlagen und nur noch gurgelnde Laute von sich gaben, machten wir, dass wir in unser Zimmer kamen, und hörten nur Minuten später ganz gedämpft das Geschrei mehrerer Stimmen, die sich gar nicht erklären konnten, was mit den Hühnern passiert war.
Erst am nächsten Morgen wagten wir uns betont unschuldig dreinblickend zum Frühstück hinunter und stellten erleichtert fest, dass die Hühner unseren Anschlag wohl doch überlebt hatten. Wir schoben die Räder in den Ort, besorgten einen neuen, stabileren Gepäckträger und montierten diesen an mein Rad. Allerdings hatten die Übernachtung und die Reparatur bereits am ersten Tag ein beträchtliches Loch in unsere sehr knapp bemessene Reisekasse gerissen.
Nachdem mein Gepäck befestigt war, ging es auf zur nächsten Etappe. Diese sollte uns erst über den 2149 Meter hohen Ofenpass, dann in die Schweiz nach Zernez und weiter nach St. Moritz führen. Da wir ja wegen der Besorgung und Montage des Gepäckträgers erst gegen Mittag losgekommen waren, wurde es bereits dunkel, nachdem wir den Ofenpass überquert hatten und nach Zernez hinunterrauschten. Bis nach St. Moritz waren es laut Karte noch dreißig Kilometer. Eigentlich hatten wir vorgehabt, noch vor Einbruch der Dunkelheit anzukommen, denn wir hatten ja gar keine Radbeleuchtung. Unser einziges Licht war eine kleine batteriebetriebene Stablampe.
Heute wäre es natürlich völlig undenkbar, nachts mit zwei Fahrrädern ohne ausreichende Beleuchtung auf einer Hauptverkehrsstraße den Berg hinunterzurauschen, aber vor zweiundfünfzig Jahren gab es dort kaum Verkehr, und wenn wirklich ein Auto kam, konnte man ja schon von weitem die Scheinwerfer sehen.
Unerwarteterweise führte uns der Weg plötzlich bergauf, und die Steigung wurde immer beschwerlicher. Trotz Landkarte hatten wir keine Ahnung, wo wir uns befanden. Also fuhren wir einfach so lange weiter, bis wir endlich in der Ferne ein Licht sahen. Nachdem wir bestimmt zwei Stunden nur immer bergauf geradelt waren, kamen wir an eine kleine Bar, die noch geöffnet war. Der Mann war sehr erstaunt, als mitten in der Nacht zwei junge Burschen in Rennkleidung eintraten. Ich war froh, dass mein Freund wenigstens ein paar Worte Italienisch sprach und er sich auf der Karte zeigen lassen konnte, wo wir uns befanden. Es stellte sich heraus, dass wir in der Dämmerung an einer
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