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Das vierte Protokoll

Das vierte Protokoll

Titel: Das vierte Protokoll
Autoren: Frederick Forsyth
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einem entschuldigenden Lächeln sofort ab, wobei er die Klebstoffreste vom Daumen wischte. Später hatte Billy dann Rawlings eine vollständige Beschreibung der Eingangshalle, der Portiersloge, der Lage der Treppen und Aufzüge geliefert, vom Zugang zur Wohnungstür, der kleinen Diele dahinter und von den Teilen des Salons, die ihm zu Gesicht gekommen waren.
    Rawlings war überzeugt, daß der Wohnungsinhaber vor vier Stunden seine Koffer in das Treppenhaus getragen hatte und dann in die Diele zurückgegangen war, um die Alarmanlage einzuschalten. Wie üblich hatte sie keinen Ton von sich gegeben. Er hatte die Tür hinter sich zugemacht, den Schlüssel im Steckschloß ganz umgedreht und befriedigt gedacht, daß nun das Sicherheitssystem scharf geschaltet sei. Normalerweise wäre der Federstift mit dem Pye-Mikroschalter in Kontakt gewesen. Das Umdrehen des Schlüssels würde den Stromkreis geschlossen haben. Da aber der Stift vom Mikroschalter isoliert war, würde zumindest das Türsystem nicht funktionieren. Rawlings war sicher, daß sich das Türschloß in dreißig Minuten schaffen ließe. In der Wohnung selbst würden noch weitere Fallen sein. Mit denen wollte er zu gegebener Zeit fertig werden.
    Er trank seinen Kaffee aus und nahm sich eine Mappe mit Zeitungsausschnitten vor. Wie alle Juwelendiebe war Rawlings ein aufmerksamer Leser der Klatschspalten. Die Ausschnitte dieser Mappe befaßten sich ausschließlich mit den gesellschaftlichen Auftritten Lady Fionas und mit dem einzigartigen Diamantschmuck, den sie auch gestern abend auf dem Galaball wieder getragen hatte - zum letzten Mal, wenn es nach Rawlings ging.
    Tausend Meilen weiter östlich stand der alte Mann am Fenster seines Wohnzimmers im Block 111 am Mira-Prospekt und dachte ebenfalls an Mitternacht. Sie würde den 1. Januar 1987, seinen 75. Geburtstag, einläuten.
    Obwohl es bereits in den Nachmittag ging, war der Mann immer noch im Morgenrock. Es gab, wie die Dinge lagen, keinen Anlaß, früh aufzustehen oder sich in Schale zu werfen, um ins Büro zu gehen. Es gab kein Büro mehr, in das er hätte gehen können. Seine um dreißig Jahre jüngere Frau Erita hatte ihre beiden Jungen in den Gorki Park geführt, wo die Kinder auf den in Eisbahnen verwandelten Wegen Schlittschuh laufen konnten. Der Mann war also allein.
    Er warf einen flüchtigen Blick in einen Wandspiegel, und was er darin sah, stimmte ihn nicht fröhlicher als der Gedanke an sein Leben oder an das, was davon noch übrig war. Das seit jeher faltige Gesicht war jetzt tief gefurcht. Das einst dichte schwarze Haar war schlohweiß geworden, schütter und leblos. Unmäßiger Alkohol- und Nikotinkonsum hatten seine Haut gefleckt und gesprenkelt. Die Augen erwiderten elend seinen Blick. Der Mann ging wieder ans Fenster und sah auf die schneeverwehte Straße hinunter. Ein paar bis zur Nasenspitze eingemummte Babuschkas räumten den Schnee weg, bevor über Nacht neuer fiel.
    Es war schon so lange her, vierundzwanzig Jahre fast auf den Tag genau, sinnierte der Mann, seit er seinen Un-Job und sein witzloses Exil in Beirut aufgegeben hatte, um hierherzukommen. Es wäre zwecklos gewesen, zu bleiben. Nick Elliot und der Rest der »Firma« hatten damals die ganze Sache spitzgekriegt, er hatte es schließlich ihnen selbst eingestanden. Also war er abgereist, ohne Frau und Kinder, die, wenn sie wollten, später nachkommen konnten.
    Zuerst war es ihm erschienen, als sei er zurückgekehrt in seine eigentliche geistige und moralische Heimat. Er hatte sich begeistert in sein neues Leben geworfen und voller Überzeugung an die kommunistische Philosophie und ihren Sieg geglaubt. Warum auch nicht? Er hatte schließlich siebenundzwanzig Jahre damit verbracht, ihr zu dienen. In jenen ersten, frühen Jahren Mitte der Sechziger war er glücklich und in Einklang mit sich selbst gewesen. Natürlich war er intensiv ausgequetscht worden, doch in der KGB-Zentrale verehrte man ihn geradezu. Schließlich war er einer, wenn nicht der größte der fünf Stars, zusammen mit Burgess, Maclean, Blunt und Blake, die sich wie Maulwürfe bis ins innerste Mark des britischen Establishments gewühlt und es in Bausch und Bogen verraten hatten.
    Burgess, dem Sex und Suff ein frühes Grab bereiten sollten, war schon dabeigewesen, bevor er, Philby, dazugestoßen war. Als erster hatte Maclean seine Illusionen verloren, aber der war ja schließlich schon seit 1951 in Moskau. Seine wachsende Verbitterung und Wut ließ er an Melinda aus, die ihn
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