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Das vierte Protokoll

Das vierte Protokoll

Titel: Das vierte Protokoll
Autoren: Frederick Forsyth
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reichsten Viertel des Londoner West End, erregt ein Chauffeur in einem großen Wagen keinerlei Aufmerksamkeit, schon gar nicht mit vier Koffern und einem Picknickkorb im Heckteil, am Morgen des 31. Dezember. Viele reiche Leute verließen die Hauptstadt, um Silvester in ihren Landhäusern zu feiern. Am Hyde Park Corner war er fünfzig Yards hinter dem Jaguar und ließ einem Lastwagen die Vorfahrt. In der Park Lane befürchtete er einen Augenblick lang, das Paar im Jaguar könne an der dortigen Filiale der Coutts Bank halten und den Diamantschmuck im Nachtsafe deponieren.
    Am Marble Arch atmete er ein zweites Mal erleichtert auf. Die Limousine vor ihm war nicht um das Denkmal herum und über die Gegenspur der Park Lane nach Süden, zur Bank, gefahren. Sie brauste geradewegs zum Great Cumberland Place, dann über Gloucester Place weiter nach Norden. Die Besitzer der Luxuswohnung im achten Stock von Fontenoy House hinterlegten also die Dinger nicht bei Coutts; sie hatten sie entweder im Wagen und nahmen sie mit aufs Land oder aber ließen sie über die Feiertage in der Wohnung. Rawlings war überzeugt, daß die zweite Annahme zutraf.
    Er folgte dem Jaguar nach Hendon, beobachtete noch, wie der Wagen die letzte Meile bis zur Autobahn M1 flitzte, wendete dann und fuhr zurück in die Stadt. Ganz wie er gehofft hatte, war das Ehepaar eindeutig zum Bruder der Frau, dem Duke of Sheffield, unterwegs, der in Nord Yorkshire, volle sechs Autostunden von der Hauptstadt entfernt, ein Landgut besaß. Das würde Rawlings mindestens vierundzwanzig Stunden Zeit geben, mehr als er brauchte. Er bezweifelte nicht im geringsten, daß er die Wohnung in Fontenoy House würde knacken können; schließlich war er einer der besten Schränker Londons.
    Um die Mitte des Vormittags hatte er den Volvo zum Autoverleih, die Livree zum Kostümverleih und die leeren Koffer in den Schrank zurückgebracht. Er war wieder in seiner komfortablen und teuer möblierten Wohnung im obersten Stock eines umgebauten Teelagerhauses in Wandsworth. In dieser Gegend war er aufgewachsen. Wie gut auch immer seine Geschäfte gingen, er war und blieb ein Südlondoner, und wenn Wandsworth auch nicht so schick sein mochte wie Belgravia oder Mayfair, es war sein Revier. Und wie alle seinesgleichen verließ er nur widerwillig die Geborgenheit des eigenen Reviers. Dort fühlte er sich einigermaßen sicher, obgleich er der örtlichen Unterwelt und der Polizei als »Face« bekannt war, das heißt als Verbrecher oder Gauner.
    Auch verhielt er sich wie alle erfolgreichen Ganoven in seinem Revier unauffällig. Er fuhr einen bescheidenen Wagen, und die einzige Schwäche, die er sich gestattete, war die elegante Wohnung. Die niederen Chargen der Unterwelt hielt er absichtlich über sein Tun im unklaren, und obgleich die Polizei mit ziemlicher Sicherheit seine Spezialität kannte, war sein Strafregister, abgesehen von einer kurzen Wasser-und-Brot- Strecke in seiner Jugend, ein unbeschriebenes Blatt. Sein offensichtlicher Erfolg und die Unklarheit darüber, wie er ihn erreichte, machten ihn zu einer Kultfigur beim einschlägigen Nachwuchs, der nur zu gern kleine Gänge für ihn erledigte. Sogar die schweren Kaliber, die am hellen Tag, mit Schrotflinten und Schaufelstielen bewaffnet, Lohnbüros ausnahmen, hielten sich respektvoll von ihm fern.
    Natürlich brauchte er ein Aushängeschild zur Rechtfertigung seiner Geldmittel. Alle erfolgreichen »Faces« übten irgendeine reguläre Tätigkeit aus. Die beliebtesten Tarngewerbe waren Taxiunternehmen, Obst und Gemüse en gros und Schrotthandel. Alle diese Aushängeschilder bescheren eine Menge nicht nachprüfbarer Gewinne, Bargeschäfte, Freizeit und Verstecke, und man kann ein paar »Schwere« oder Schläger anheuern, harte Burschen mit wenig Verstand und viel Muskelkraft, die zur Tarnung ihres eigentlichen Metiers als Gorillas ebenfalls einer regulären Arbeit nachgehen müssen.
    Rawlings betrieb offiziell eine Altmetallhandlung und Autoverschrottung. Damit verfügte er über eine gut ausgerüstete Werkstatt, über Metalle aller Art, elektrische Kabel, Leitungen und Batteriesäure, und die beiden Schlägertypen, die in seinem Hinterhof Altwagen ausschlachteten, leisteten Schützenhilfe und konnten ihm als Leibgarde dienen, falls ihm irgendwelche »Kollegen« Scherereien machen wollten.
    Frisch geduscht und frisch rasiert saß Rawlings am Frühstückstisch und verrührte die Zuckerwürfel in seinem zweiten Morgenespresso. Er studierte die
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