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Das vierte Protokoll

Das vierte Protokoll

Titel: Das vierte Protokoll
Autoren: Frederick Forsyth
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Philby. Ohne ein weiteres Wort neigte der Major kurz den Kopf, machte auf dem Absatz kehrt und ging den Korridor hinunter. Einige Sekunden später beobachtete Philby von seinem Fenster aus, wie die schlanke schwarze Tschaika-Limousine mit dem Kennzeichen des Zentralkomitees, das mit den Buchstaben MOC beginnt, vom Hauseingang wegglitt.
    Jim Rawlings blickte durch eine Lupe auf das Bild in dem Gesellschaftsmagazin. Das vor einem Jahr aufgenommene Foto zeigte die Frau, die er heute früh an der Seite ihres Mannes in nördlicher Richtung aus London hatte fahren sehen. Sie stand in einer Reihe von Leuten und wartete darauf, Prinzessin Alexandra vorgestellt zu werden. Und sie trug die Steine. Rawlings, der in monatelanger Arbeit seine Coups vorbereitete, kannte die Herkunft des Schmuckes besser als sein eigenes Geburtsdatum.
    Im Jahre 1905 war der junge Earl of Margate aus Südafrika zurückgekommen und hatte vier herrliche Rohdiamanten mitgebracht. Vor seiner Hochzeit, 1912, übergab er sie Cartier in London zum Schleifen und Fassen als Geschenk für seine junge Frau. Cartier schickte die Steine nach Amsterdam zu Aascher, der aufgrund seiner meisterlichen Bearbeitung des riesigen Cullinan-Steins immer noch als der beste Diamantschleifer der Welt galt. Die vier Diamanten wurden zu zwei zusammenpassenden Paaren von birnenförmigen, achtundfünfzigfacettigen Steinen verarbeitet, wobei das eine Paar zehn Karat pro Stein wog und das andere zwanzig.
    In London faßte Cartier diese Steine in Weißgold, umgab sie mit insgesamt vierzig sehr viel kleineren Diamanten und schuf ein Ensemble, bestehend aus einem Diadem mit einem der größeren birnenförmigen Steine als Mittel stück, einem Anhänger mit dem anderen größeren Diamanten als Mittelstück und zwei dazu passenden Ohrgehängen mit den beiden kleineren Steinen. Bevor der Schmuck fertig war, starb der Vater des Earl, der siebente Duke of Sheffield, und der Titel ging auf den Sohn über. Die Steine wurden als die Glen-Diamanten bekannt, nach dem Familiennamen des Hauses Sheffield. Der achte Duke vererbte sie bei seinem Tod 1936 an seinen Sohn, der seinerseits zwei Kinder hatte, eine Tochter, geboren 1944, und einen Sohn, geboren 1949. Das Bild dieser Tochter, die nun zweiundvierzig Jahre alt war, befand sich jetzt unter Jim Rawlings' Lupe.
    »Die hast du zum letzten Mal getragen, Schätzchen«, sagte Rawlings vor sich hin. Dann überprüfte er nochmals seine Ausrüstung für den Abend.
    Harold Philby schlitzte den Umschlag mit einem Küchenmesser auf, zog den Brief heraus und legte ihn auf den Tisch im Wohnzimmer. Er war beeindruckt; es war ein persönliches Handschreiben des Generalsekretärs der KPdSU; Philby erkannte die gestochene Schönschrift des Sowjetführers. Der Briefbogen war wie der Umschlag Luxusqualität und trug keinen Briefkopf. Der Generalsekretär hatte den Brief sicher in seiner Privatwohnung im Kutuzowskij-Prospekt Nummer 26 geschrieben, dem riesigen Block, der seit Stalins Zeiten den Spitzen der Parteihierarchie in Moskau üppige Absteigequartiere bot. In der rechten oberen Ecke des Blattes stand »Mittwoch, den 31. Dezember 1986«. Darunter der Text. Er lautete:
     
    »Lieber Philby,
    ich wurde auf eine Bemerkung aufmerksam gemacht, die Sie kürzlich bei einem Abendessen in Moskau getan haben.
    Nämlich: Die politische Stabilität Großbritanniens werde hier in Moskau dauernd überschätzt, und heute mehr denn je. Würden Sie mir bitte diese Bemerkung näher und ausführlicher erläutern. Machen Sie einen schriftlichen Bericht, in einem einzigen Exemplar, ohne Durchschlag für Sie und ohne die Hilfe einer Schreibkraft.
    Wenn er fertig ist, rufen Sie die Nummer an, die Major Pawlow Ihnen gegeben hat, und verlangen Sie ihn persönlich. Er wird dann den Bericht bei Ihnen abholen.
    Meine Glückwünsche zu Ihrem morgigen Geburtstag.
    Ihr...«.
     
    Der Brief endete mit der Unterschrift.
    Philby atmete tief durch. Das Abendessen, das Kryutschow am 26. für höhere KGB-Offiziere gegeben hatte, war also abgehört worden. Er hatte es halbwegs vermutet. Wladimir Alexandrowitsch Kryutschow, erster stellvertretender Leiter des KGB und Chef seines Ersten Hauptdirektorats, war ein ergebener Gefolgsmann des Generalsekretärs. Obwohl er den Titel eines Generaloberst trug, war Kryutschow kein Militär, ja nicht einmal ein berufsmäßiger Nachrichtendienstler; er war ein Parteiapparatschik reinsten Wassers, einer von denen, die der jetzige Sowjetführer hereingebracht
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