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Das verwundete Land - Covenant 04

Das verwundete Land - Covenant 04

Titel: Das verwundete Land - Covenant 04
Autoren: Stephen R. Donaldson
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auf dem Papier, bildeten ein großes, grobes Dreieck, in dem ein Satz stand:
     
    JESUS IST DER RETTER
     
    Einen Moment lang hatte sie den Zettel betrachtet, ihn dann in der Tasche zerknüllt. Sie besaß keinen Bedarf an Heilsversprechungen. Ihr lag an nichts, das sie nicht verdiente.
    Aber der Zettel, zusammen mit der diesigen Luft, der ausgedehnten Anstrengung, ihre Besitztümer die Treppe hinaufzuwuchten, und die Wohnung als solche hinterließen in ihr das Gefühl, zum Morden imstande zu sein. Die Zimmer erinnerten sie ans Haus ihrer Eltern. Aus diesem Grund war ihr die Wohnung zuwider. Doch sie paßte zu ihr, und deshalb beschloß sie, sich mit ihr abzufinden. Sie verabscheute und begrüßte zugleich die Angemessenheit ihrer Situation. Deren persönliche Härte war gerecht.
    Linden war Ärztin und hatte gerade ihre assistenzärztliche Tätigkeit hinter sich gebracht, und sie war mit Absicht auf eine Stellung aus gewesen, die es ihr ermöglichte, sich in einem kleinen, halb ländlichen, halb verschlafenen Ort wie diesem hier niederzulassen – einer Ortschaft wie jener, in deren Nähe sie zur Welt kam und ihre Eltern starben. Obwohl sie erst dreißig war, fühlte sie sich alt, unattraktiv und voller Ernst. Das war angebracht; sie blickte auf ein unschönes und ernstes Leben zurück. Ihr Vater war gestorben, als sie acht, ihre Mutter, als sie fünfzehn war. Nach drei Jahren der Leere in einem Waisenhaus hatte sie das College und ein Medizinstudium absolviert, dann das Praktikum gemacht und eine Tätigkeit als Assistenzärztin ausgeübt, sich unterdessen auf familienärztliche Betreuung spezialisiert. Sie war einsam gewesen, solange sie zurückdenken konnte, und das Alleinsein hatte sich ihr im großen und ganzen eingefleischt. Ihre zwei oder drei Liebesabenteuer waren mehr wie hygienische Routine oder physiologische Experimente ausgefallen; sie war davon innerlich unberührt geblieben. Aufgrund dessen sah sie nichts als Strenge, wenn sie sich heute anschaute, und die Folgen von Gewaltsamkeit.
    Hartes Arbeiten und unterdrückte Gefühle hatten die unerbetene Weiblichkeit ihres Körpers nicht beeinträchtigen, ebensowenig den von innen kommenden Glanz ihres schulterlangen, weizenblonden Haars abstumpfen oder die gewachsene Schönheit ihres Gesichts mindern können. Ihr betriebsames, genügsames Leben hatte nichts an der Weise verändert, wie ihre Augen sich beinahe ohne Veranlassung zu verschleiern und mit Nässe zu füllen pflegten. Aber schon kennzeichneten Falten ihr Gesicht und versahen sie mit einem fortwährenden Stirnrunzeln der Konzentration über dem Rücken ihrer geraden, zierlichen Nase und Grübchen, die Andeutungen von Schmerz glichen, auf beiden Seiten des Mundes – eines Mundes, der ursprünglich für etwas Üppigeres geformt worden war als das Dasein, das sie hatte führen müssen. Und ihre Stimme war ausdruckslos geworden, so daß sie eher einem Werkzeug der Diagnostik ähnelte, einer Methode zum Ermitteln zweckdienlicher Daten, als einem Mittel zur Verständigung.
    Doch die Art ihres Lebens hatte ihr mehr gegeben als bloß Einsamkeit und die Neigung zu trübseligen Stimmungszuständen. Sie hatte sie gelehrt, an die eigene Kraft zu glauben. Linden war Ärztin; sie hatte Leben und Tod in ihren Händen gehalten und gelernt, wie man sich mit beiden richtig auseinandersetzte. Sie vertraute auf ihre Fähigkeit, Bürden zu tragen. Als sie das Pochen an der Tür hörte, stöhnte sie laut auf. Aber dann glättete sie ihre schweißdurchtränkte Kleidung, als zöge sie ihre Gefühle zurecht, und ging zur Tür, um sie zu öffnen.
    Sie erkannte den stämmigen, leicht krummen Mann, der auf dem Treppenabsatz stand. Er war Julius Berenford, der Chefarzt des Kreiskrankenhauses, der Mann, der für ihre Einstellung gesorgt hatte, damit sie für ihn die Hausbesuche und die Ambulanz übernahm. In einer Klinik in einer eher städtischen Gegend wäre es ungewöhnlich gewesen, für einen solchen Posten eine Familienbetreuerin einzustellen. Dieses Kreiskrankenhaus jedoch war für eine Region zuständig, in der hauptsächlich Farmer und Hinterwäldler wohnten. Diese Ortschaft – das Kreisstädtchen – litt seit zwanzig Jahren an stetiger Überalterung. Dr. Berenford brauchte eigentlich einen Allgemeinmediziner.
    Seine Schädeldecke befand sich in der Höhe von Lindens Augen, und er war doppelt so alt wie sie. Die runde Feistigkeit seines Bauchs widersprach der Dünne seiner Gliedmaßen. Er erweckte den Eindruck einer
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