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Das verwundete Land - Covenant 04

Das verwundete Land - Covenant 04

Titel: Das verwundete Land - Covenant 04
Autoren: Stephen R. Donaldson
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Unschuld, die sie kennen.« Er hob die Schultern und gab ihr den Zettel zurück. »Dieser Landstrich befindet sich seit langem im Niedergang. Mit der Zeit fangen Menschen in niedergedrückter Verfassung sonderbare Sachen zu treiben an. Sie versuchen, die Bedrückung in eine Tugend umzuwandeln – sie brauchen irgend etwas, wodurch sie sich weniger hilflos fühlen. In dieser Gegend suchen sie meistens ihr Heil, indem sie den Erweckungspredigern nachlaufen. Leider dürfte es kaum zu vermeiden sein, daß Sie es hier mit Leuten zu schaffen bekommen, die sich Sorgen um Ihre Seele machen. In einer Kleinstadt ist niemandem ein ausgesprochenes Privatleben vergönnt.«
    Linden nickte; doch sie hörte ihren Besucher so gut wie gar nicht. Sie hatte sich in eine plötzliche Erinnerung an ihre Mutter verrannt, wie sie in abstoßendem Selbstmitleid herumweinte. Ihre Mutter hatte Linden die Schuld am Tod ihres Vaters zugeschoben ...
    Mit finsterer Miene verdrängte sie die Erinnerung. Ihr Abscheu war so stark, daß sie sich jederzeit bereit erklärt hätte, diese Erinnerungen aus ihrem Gedächtnis herausschneiden zu lassen. Aber Dr. Berenford sah sie an, als ob sich die Reaktion auf ihrem Gesicht widerspiegle. Um ihre inneren Vorgänge zu verhehlen, überzog sie ihre Gesichtszüge mit Disziplin wie mit der Maske eines Chirurgen. »Was kann ich für Sie tun, Dr. Berenford?«
    »Naja, zunächst einmal«, sagte er, indem er sich trotz ihres Tonfalls zur Jovialität zwang, »Sie können mich Julius nennen. Ich werde Linden zu Ihnen sagen, also dürfen Sie's andersherum auch so halten.«
    Sie fügte sich mit einem Achselzucken. »Julius.«
    »Linden.« Er lächelte; doch das Lächeln half ihm nicht aus seinem Unbehagen. »Ich bin tatsächlich«, ergänzte er einen Moment später hastig, als gedenke er die Schwierigkeit seines Anliegens auf diese Weise zu überrunden, »aus zwei Gründen zu Ihnen gekommen. Natürlich war's meine Absicht, Sie hier bei uns im Ort willkommen zu heißen. Aber das hätte ich auch später erledigen können. Die eigentliche Wahrheit ist, ich möchte Sie an die Arbeit schicken.«
    Arbeit? dachte Linden. Das Wort rief in ihr unwillkürliche Auflehnung hervor. Ich bin gerade erst eingetroffen. Ich bin müde und gereizt, und ich weiß nicht, wie ich diese Wohnung ertragen soll. »Heute ist Freitag«, erwiderte sie mit Vorsicht. »An sich brauche ich erst am Montag anzufangen.«
    »Diese Angelegenheit steht nicht mit dem Krankenhaus im Zusammenhang. Sie müßte es, aber es ist nicht der Fall.« Sein Blick streifte ihr Gesicht wie eine flehentliche Berührung. »Es geht mir um einen persönlichen Gefallen. Die Sache ist mir über. Ich habe so viele Jahre damit verbracht, mich mit dem Leben meiner Patienten zu beschäftigen, daß ich anscheinend nicht mehr zu objektiven Entscheidungen fähig bin. Oder vielleicht bin ich einfach hinter der Zeit zurück ... Möglicherweise sind meine medizinischen Kenntnisse nicht auf dem neuesten Stand. Ich habe den Eindruck, ich muß die Meinung eines anderen einholen.«
    »Worüber?« erkundigte sich Linden, auf eine sachliche Tonlage bedacht. Doch inwendig stöhnte sie. Ihr war bereits klar, daß sie zu bewerkstelligen versuchen würde, um was er sie zu bitten beabsichtigte, was es auch sein mochte. Er sprach einen Teil ihres Innern an, der nie gelernt hatte, sich zu weigern.
    Verdrossen legte er die Stirn in Falten. »Unglücklicherweise kann ich's Ihnen nicht mitteilen. Es ist vertraulich.«
    »Oh, hören Sie bloß auf!« Sie befand sich in keiner Stimmung für Ratespiele. »Ich habe den gleichen Eid wie Sie abgelegt.«
    »Ich weiß.« Er hob die Hände, wie um sich ihrer Verärgerung zu erwehren. »Ich weiß. Allerdings dreht's sich diesmal nicht um diese Art von Vertraulichkeit.«
    Sie musterte ihn, für den Moment völlig ratlos. Sprach er gar nicht von einem medizinischen Problem? »Das klingt ja, als ob es sich um eine ziemlich große Gefälligkeit handelte.«
    »Kann sein. Das hängt von Ihnen selbst ab.« Bevor Linden die geeigneten Worte fand, um ihn zu fragen, wovon er überhaupt rede, stellte Dr. Berenford unvermittelt die Frage. »Haben Sie jemals den Namen Thomas Covenant gehört? Er schreibt Romane.«
    Sie spürte, wie er sie beobachtete, während sie ihr Gedächtnis durchforschte. Doch sie sah keinen Weg, um seinem Gedankengang zu folgen. Seit der Bewältigung des am College erforderlichen Pensums an Literatur hatte sie keinen Roman mehr gelesen. Sie hatte so wenig
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