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Das verwundete Land - Covenant 04

Das verwundete Land - Covenant 04

Titel: Das verwundete Land - Covenant 04
Autoren: Stephen R. Donaldson
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gerade wie eine steinerne Tafel; angestaute Mühsal furchte die Wangen; seine Augen glichen zum Aufglühen fähigen Kohlen. Das Haar über seiner Stirn war sichtlich angegraut, als wäre er mehr durch die eigenen Gedanken gealtert als durch die Zeit.
    Er befand sich offenkundig im Zustand der Erschöpfung. Nahezu unwillentlich nahm sie von der Rötung seiner Augen und Lider Kenntnis, der Fahlheit seiner Haut, der zittrigen Abgehacktheit seiner Bewegungen. Entweder war er krank oder stand unter extremem Streß.
    Linden tat den Mund auf, um etwas zu sagen, aber dazu kam sie gar nicht. Der Mann schenkte ihrer Anwesenheit nur eine Sekunde lang seine Beachtung, ehe er sie anschnauzte. »Gottverdammt, wenn ich Gäste aufnehmen wollte, würde ich ja wohl ein Schild aufstellen!« Damit knallte er ihr die Tür vor der Nase zu.
    Einige Augenblicke lang zwinkerte sie verdutzt, während sich hinter ihr die abendliche Dämmerung vertiefte, und ihre Unsicherheit schlug in Wut um. Da schlug sie so wuchtig gegen die Tür, daß das Holz in seinem Rahmen ratterte.
    Fast sofort kam er zurück. Seine Stimme glich Säurespritzern. »Vielleicht verstehen Sie kein Englisch. Ich ...«
    Sie begegnete seinem wüsten Blick mit ätzend sarkastischem Lächeln. »Müssen Sie kein Glöckchen läuten oder so was?«
    Das bremste ihn. Seine Lider verengten sich, als er sie zum zweitenmal betrachtete. Er sprach langsamer, als er von neuem den Mund aufmachte, als versuche er die Gefahr einzuschätzen, die von ihr ausging. »Wenn Sie Bescheid wissen, bedürfen Sie keiner Warnung.«
    Sie nickte. »Mein Name ist Linden Avery. Ich bin Ärztin.«
    »Und Sie fürchten sich nicht vor Leprotikern.«
    Sein Hohn besaß die Heftigkeit eines Keulenhiebs; doch sie blieb ihm nichts schuldig. »Würde ich mich vor Kranken fürchten, könnte ich keine Ärztin sein.«
    Sein finsterer Blick war ein Inbegriff seines Unglaubens. »Ich brauche keinen Arzt«, erwiderte er kurz angebunden und machte Anstalten, die Tür erneut zu schließen.
    »Also sind in Wahrheit Sie es«, sagte sie schroff, »der sich fürchtet.«
    Seine Miene verdüsterte sich. »Was wünschen Sie, Doktor?« fragte er nach, indem er jedes einzelne Wort verwendete wie einen Dolch.
    Zu ihrem Verdruß brachte seine beherrschte Vehemenz sie ins Wanken. Das zweite Mal während dieses Sonnenuntergangs ruhten Augen auf ihr, deren Blick zu energisch war für sie. Dieser Blick flößte ihr Beschämung ein. Sie hielt das Buch – den Vorwand für ihr Aufkreuzen – in der Hand; doch sie verbarg die Hand hinterm Rücken. Sie vermochte die Lüge nicht auszusprechen, die Dr. Berenford vorgeschlagen hatte. Und sie wußte keine andere Antwort. Sie konnte überdeutlich sehen, daß Covenant Hilfe brauchte. Aber solange er nicht darum ersuchte, welche Möglichkeiten standen ihr dann noch offen?
    Da jedoch durchfuhr eine Intuition ihr Bewußtsein. Sie sprach aus, was ihr in den Sinn gekommen war, bevor sie die Eingebung in Frage stellen konnte. »Der Greis«, erklärte sie, »hat zu mir ›Bleib getreu‹ gesagt.«
    Covenants Reaktion verblüffte sie. In seinen Augen glommen Überraschung und Furcht auf. Seine Schultern zuckten zusammen; das Kinn fiel ihm herab. Dann hatte er urplötzlich hinter sich die Haustür geschlossen. Er stand unmittelbar vor ihr, das Gesicht in hitziger Erregung nach vorn geschoben. »Welcher Greis?«
    Sie widerstand seiner Heftigkeit. »Ich habe ihn draußen an der Abzweigung zu Ihrer Zufahrt getroffen ... einen alten Mann in ockerfarbenem Gewand. Kaum hatte ich ihn gesehen, erlitt er einen Herzanfall.« Für einen Augenblick berührte die kalte Hand des Zweifels ihr Inneres. Der Alte hatte sich viel zu schnell erholt. War es denkbar, daß er ihr bloß Theater vorgespielt hatte? Ausgeschlossen! Sein Herz hatte stillgestanden. »Ich habe mich gehörig abschinden müssen, um ihn durchzubringen. Und dann ist er einfach weggegangen.«
    Covenants Feindseligkeit schwand. Sein Blick haftete nun an ihr, als sei er ein Ertrinkender. Er hielt die Hände gespreizt vor sich hingestreckt. Erstmals bemerkte Linden, daß seiner rechten Hand die beiden äußeren Finger fehlten. An dem, was früher der Mittelfinger der Rechten gewesen war, trug er einen Ehering aus Weißgold. Seine Stimme ähnelte einem schmerzhaften Krächzen in seiner Kehle. »Er ist fort?«
    »Ja.«
    »Ein alter Mann in einem ockerfarbenen Gewand?«
    »Ja.«
    »Sie haben ihm das Leben gerettet?« Seine Gesichtszüge entglitten in abendliches
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