Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das verwundete Land - Covenant 04

Das verwundete Land - Covenant 04

Titel: Das verwundete Land - Covenant 04
Autoren: Stephen R. Donaldson
Vom Netzwerk:
sich kein einziges Aussetzen.
    Durch den Ekel schwoll in ihr Furcht auf. Ermüdung. Scheitern. Ein derartiger Wiederbelebungsversuch verschlang soviel Kraft, daß keine Einzelperson ihn länger als für ein paar Minuten durchzuführen vermochte. Wenn die Wiederbelebung nicht bald eintrat ...
    Atmen, verdammt noch mal! schalt sie inwendig zwischen den Druckausübungen. Fünfzehn. Zwei. Verfluchter Kerl. Atme! Noch immer blieb der Pulsschlag aus.
    Ihre eigene Atmung geriet zusehends unregelmäßiger; ein Schwindelgefühl befiel sie, als rolle eine Flut aus Finsternis näher. Die Luft schien ihren Lungen zu widerstreben. Schwüle und Trübnis des nahen Sonnenuntergangs ließen den Alten vor Lindens Augen verschwimmen. Sein gesamter Muskeltonus war dahin, alle Anzeichen von Leben waren aus ihm gewichen.
    Atme!
    Unvermittelt unterbrach sie die Massage und riß ihre Arzttasche heran. Ihre Arme zitterten; mit gewaltsamer Verkrampftheit hielt sie sie still, während sie eine Wegwerfspritze, eine Ampulle mit Adrenalin und eine Herzkanüle auspackte. Sie rang um Ruhe, füllte die Spritze, indem sie die Luft hinauspreßte. Trotz der gebotenen Eile nahm sie sich einen Moment Zeit, um auf dem schmalen Brustkorb des Mannes eine Stelle der Haut mit Alkohol zu säubern. Dann schob sie ihm die Nadel behutsam zwischen die Rippen und injizierte das Adrenalin ins Herz.
    Sie legte die Spritze weg und riskierte es, dem Alten einmal die Faust aufs Brustbein zu schlagen. Doch der Hieb blieb ohne Wirkung.
    Linden stieß einen Fluch aus und nahm den Wiederbelebungsversuch wieder auf.
    Sie brauchte Unterstützung. Aber es war unmöglich, sich welche zu verschaffen. Wenn sie aufhörte, um ihn erst in den Ort zu fahren, oder um ein Telefon ausfindig zu machen, würde er sterben. Doch wenn sie hier allein ihre Kräfte erschöpfte, mußte er ebenfalls sterben.
    Atme!
    Er atmete nicht. Sein Herz schlug nicht. Sein Mund war so stinkig wie der Rachen eines Leichnams. Diese ganze Zumutung wirkte aussichtslos.
    Linden gab nicht auf.
    All die Düsternis ihres gesamten Lebens ballte sich nun in ihr zusammen. Zu viele Jahre hindurch hatte sie sich gelehrt, eine tüchtige Widersacherin des Todes zu sein; sie konnte jetzt schlichtweg nicht kapitulieren. Um ihren Vater zu retten, war sie zu jung, zu schwach und zu unwissend gewesen, ihre Mutter hatte nicht gerettet werden können; nun jedoch, da sie wußte, was sich tun ließ und wie man es machte, beabsichtigte sie nicht nachzugeben, ihr Leben nicht mit dem Makel eines vorzeitigen Erlahmens zu beschmutzen.
    Dunkle Flecken begannen durch ihr Blickfeld zu tanzen; Feuchtigkeit und Mangelhaftigkeit erfüllten die Luft. Ihre Arme fühlten sich wie Blei an; ihre Lungen bäumten sich jedesmal auf, wenn sie dem Alten Atem in die Kehle stieß. Er lag leblos da. Tränen hilflosen Zorns rannen Linden heiß die Wangen hinab. Dennoch ließ sie nicht locker.
    Sie befand sich nur noch halb bei Besinnung, als plötzlich ein Zittern den Greis durchlief und er mit einem heiseren Laut nach Luft schnappte.
    In derselben Sekunde brach Lindens Willenskraft. Blut schoß ihr in den Kopf. Sie spürte nicht, wie sie zur Seite sank.
    Als sie wieder genug Gewalt über sich erlangt hatte, um den Kopf zu heben, verschleierte Gequältheit ihren Blick, und ihr Gesicht war ölig vom Schweiß. Der Alte ragte hochaufgerichtet über sie auf. Seine Augen betrachteten sie; ihr tiefes Blau schien sie zu umfangen wie eine mitleidige Hand. Er sah unvorstellbar groß und kerngesund aus; schon seine Haltung schien leugnen zu wollen, er sei jemals dem Tode nahe gewesen. Sanft faßte er sie an und zog sie auf die Beine empor. Als er seine Arme um sie legte, sackte sie gegen ihn, völlig außerstande, sich seiner Umarmung zu widersetzen.
    »Ach, meine Tochter, hab keine Furcht.« Seine Stimme klang rauh aus Mitgefühl und Sanftmut. »Du wirst nicht scheitern, wie arg er dich auch bedrängen mag. Es gibt in der Welt auch Liebe.« Dann gab er sie frei und trat zurück. Seine Augen verwandelten sich in Gebote. »Bleib getreu!«
    Benommen sah sie ihm nach, als er sich abwandte und ins Feld entfernte. Für einen Moment streiften Gänsedisteln und wilder Senf sein Gewand. Sie vermochte ihn durch die Verschwommenheit ihrer Sicht kaum zu erkennen. Ein leichter Wind, der nach Moschus roch, rührte an sein Haar, erzeugte im Lichtschein des Sonnenuntergangs eine Art von Strahlenkranz rings um sein Haupt. Dann entschwand er im Dunst und war auf einmal
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher