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Das verwundete Land - Covenant 04

Das verwundete Land - Covenant 04

Titel: Das verwundete Land - Covenant 04
Autoren: Stephen R. Donaldson
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Landstraße gelegen; aber es war das weiße Gebäude, das sofort ihre Aufmerksamkeit beanspruchte, als sei es das einzige bewohnbare Bauwerk in der ganzen Gegend.
    Ein unbefestigter Weg durchzog das Feld. Abzweigungen verliefen zu den anderen Häusern, aber der Hauptweg führte direkt zum weißen Gebäude.
    Neben der Abfahrt ragte ein Holzschild auf. Trotz der Verblichenheit der Farbe und mehrerer alter Astlöcher, die Einschüssen glichen, war die Aufschrift noch lesbar: Haven Farm.
    Linden nahm allen Mut zusammen und bog in den Feldweg ab.
    Ohne jede Vorwarnung erhaschte sie im Augenwinkel den flüchtigen Anblick von etwas Ockerfarbenem. Bei dem Schild stand eine Gestalt in etwas ähnlichem wie einer Robe.
    »Was ...?«
    Der Mann befand sich auf einmal an der Stelle, als wäre er soeben mitten aus der Luft erschienen. Noch einen Augenblick zuvor hatte Linden nichts als das Schild gesehen.
    Völlig überrascht riß sie unwillkürlich das Lenkrad herum, versuchte einer Gefahr auszuweichen, die schon vorüber war; unverzüglich lenkte sie den Sedan wieder herum und trat aufs Bremspedal. Ihr Blick huschte hinauf zum Rückspiegel.
    Sie sah einen Greis in einem ockerfarbenen Gewand. Er war hochgewachsen und hager, barfüßig und verdreckt. Der lange graue Bart und das dünne Haupthaar umwehten seinen Kopf als Gewirbel.
    Er tat einen Schritt auf den Weg, auf den Wagen zu, dann packte er sich plötzlich krampfhaft an die Brust und brach zusammen.
    Linden entfuhr ein Ausruf, obwohl weit und breit niemand war, der ihn hätte hören können. Indem sie sich mit einer Schnelligkeit bewegte, die sich wie Zeitlupe anfühlte, schaltete sie den Motor ab, ergriff ihre Arzttasche und stieß die Wagentür auf. Angespannte Erregung brodelte in ihr empor, Furcht vor Tod, vor Versagen; aber ihre Ausbildung unterdrückte diese Anwandlungen. Einen Moment darauf befand sie sich an der Seite des Alten.
    Er wirkte hier auf dem Feldweg sonderbar fehl am Platze, als gehöre er nicht in die Zeit dieser Welt, die Linden kannte. Das Gewand war sein einziges Kleidungsstück; es sah aus, als liefe er schon seit Jahren darin herum. Seine Gesichtszüge besaßen scharfe Konturen, die grimmig waren durch Auszehrung oder Fanatismus. Das im Schwinden befindliche Sonnenlicht färbte seine welke Haut wie totes Gold.
    Er atmete nicht.
    Lindens Disziplin trieb sie zum Handeln. Sie kniete sich neben ihn und tastete nach seinem Puls. Aber in ihrem Innern war sie außer sich. Dieser Greis zeichnete sich durch eine Ähnlichkeit mit ihrem Vater aus, die ihr schwer zu schaffen machte. Hätte ihr Vater lange genug gelebt, um alt und verrückt zu werden, möglicherweise wäre er auch eine so deprimierende, hinfällige Erscheinung geworden.
    Der Puls schlug nicht.
    Der Greis stieß sie ab. Ihr Vater hatte Selbstmord begangen. Nach ihrer Überzeugung verdienten Menschen, die sich umbrachten, den Tod. Der Anblick des Alten weckte in ihr Erinnerungen an ihre eigenen Schreie, die in ihren Ohren widerhallten, als könnten sie niemals wieder verstummen.
    Aber er lag im Sterben. Schon waren seine Muskeln erschlafft, die schmerzliche Verkrampfung des Anfalls lockerte sich. Und Linden war Ärztin.
    Mit einer Sicherheit, die sie ihrer harten Ausbildung verdankte, und mit genügend Selbstverleugnung, um ihren Abscheu zu meistern, öffnete sie die Arzttasche. Sie entnahm ihr den Leuchtstab und untersuchte die Pupillen des Hingestreckten.
    Sie waren gleich und reagierten. Er konnte noch gerettet werden.
    Rasch legte sie seinen Kopf zurecht, bog ihn nach hinten, um die Kehle innen freizumachen. Dann faltete sie die Hände auf seinem Brustbein, verlagerte ihr ganzes Körpergewicht auf die Arme und begann mit einem Wiederbelebungsversuch.
    Die Rhythmik der Herzmassage hatte sich ihr längst so tief verinnerlicht, daß sie sie einhielt, ohne sich bewußt darum bemühen zu müssen: fünfzehnmal fest die Handballen aufs Brustbein gestemmt; danach zweimaliges langes Ausatmen in den Mund des Lebensgefährdeten, dabei seine Nase verschließen. Allerdings roch es außerordentlich schlecht aus dem Mund – faulig und übel, als wären seine Zähne kariös oder hätten Geschwüre seinen Gaumen befallen. Beinahe stockte Linden in ihren Anstrengungen. Im selben Augenblick verstärkte sich ihr Widerwille zu akutem körperlichem Unwohlsein, als koste sie die Absonderungen einer Eiterbeule. Doch sie war Ärztin; das hier gehörte zu ihrer Arbeit.
    Fünfzehn. Zwei.
    Fünfzehn. Zwei.
    Sie erlaubte
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