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Das Versteck

Das Versteck

Titel: Das Versteck
Autoren: Dean R. Koontz
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Tieres. Erfolglos versuchte sie sich zusammenzunehmen.
    Das gespenstische, vom Wasser gebrochene Licht des Armaturenbretts wurde schwächer und ging von bernsteinfarben in ein trübes Gelb über.
    Etwas Dunkles in ihr wollte aufgeben, wollte diese Welt loslassen und weit weg von hier an einen besseren Ort. Diese innere Stimme redete leise und ruhig auf sie ein: Kämpfe nicht, es gibt ohnehin nichts mehr, wofür es sich zu leben lohnte. Jimmy ist schon so lange tot, so schrecklich lange, und jetzt ist auch Hatch tot oder so gut wie tot, laß einfach los, ergib dich, vielleicht wirst du im Himmel aufwachen und dort wieder mit ihnen vereint sein … Es war eine einlullende Stimme von geradezu hypnotischer Überzeugungskraft.
    Die restliche Luft reichte höchstens noch für einige Minuten, wenn überhaupt so lange, und sie würde in dem Auto sterben, wenn sie sich nicht schleunigst daraus rettete.
    Hatch ist tot, seine Lunge ist voll Wasser, er wird bald nichts als Fischfutter sein, gib es auf, es hat doch sowieso alles keinen Sinn mehr. Hatch ist tot …
    Die Luft, die sie schluckte, nahm einen immer saureren und metallischen Geschmack an. Sie konnte nur noch flache Atemzüge machen, so als wäre ihre Lunge geschrumpft.
    Wenn ihr noch ein Rest an Körperwärme geblieben war, so bemerkte sie jedenfalls nichts davon. Als Reaktion auf die Kälte krampfte sich ihr Magen zusammen, und sogar die eklige Masse, die ihr immer wieder in die Kehle stieg und die sie jedesmal hinunterwürgte, schien nichts anderes als schmutziger Schneematsch zu sein.
    Hatch ist tot, Hatch ist tot …
    »Nein«, flüsterte sie in barschem, zornigem Ton. »Nein, nein!«
    Auflehnung brauste wie ein gewaltiger Sturm durch sie hindurch: Hatch konnte nicht tot sein. Undenkbar. Nicht Hatch, der nie einen Geburts- oder Jahrestag vergaß, der ihr ohne besonderen Anlaß Blumen schenkte, der nie die Beherrschung verlor und selten die Stimme erhob. Nicht Hatch, der für die Probleme anderer immer ein offenes Ohr hatte, der einem in Not geratenen Freund stets bereitwillig unter die Arme griff, dessen größter Fehler darin bestand, daß er viel zu gutmütig war. Er konnte nicht tot sein, er durfte nicht tot sein. Er war nicht tot. Er joggte täglich sieben Kilometer, ernährte sich gesund, mit wenig Fett und viel Obst und Gemüse, mied sowohl Koffein als auch entkoffeinierte Getränke. Zählte das alles denn gar nichts, verdammt noch mal? Er legte sich im Sommer nie ungeschützt in die Sonne, rauchte nicht, trank an einem Abend nie mehr als zwei Bier oder zwei Glas Wein und war zu gelassen, um jemals eine streßbedingte Herzkrankheit zu bekommen. Zählten Selbstdisziplin und Verzicht denn gar nichts? War die Schöpfung so total verkorkst, daß es überhaupt keine Gerechtigkeit mehr gab? Ja doch, es hieß, die Besten stürben jung, und bei Jimmy war das bestimmt der Fall gewesen, und Hatch war noch keine vierzig, jung in jeder Hinsicht, okay, zugegeben, aber es hieß doch auch, daß Tugend belohnt würde, und hier gab es jede Menge Tugend, verflucht, eine Riesenmenge Tugend, und das müßte doch irgend etwas zählen, es sei denn, daß Gott überhaupt nicht zuhörte, sich um gar nichts kümmerte, daß die Welt ein noch grausamerer Ort war, als sie bisher geglaubt hatte.
    Sie weigerte sich, das hinzunehmen.
    Hatch. War. Nicht. Tot.
    Sie holte so tief Luft, wie sie nur konnte. Gerade als das Licht endgültig erlosch und sie wieder blind werden ließ, tauchte sie ins Wasser und kroch durch den Rahmen der nicht mehr vorhandenen Windschutzscheibe auf die Motorhaube.
    Sie war jetzt nicht nur blind, sondern buchstäblich aller fünf Sinne beraubt. Sie konnte nichts außer ihrem eigenen wilden Herzklopfen hören, denn das Wasser dämpfte erfolgreich alle Geräusche. Von ihrem Geruchs- und Geschmackssinn Gebrauch zu machen würde die harte Strafe des Ertrinkens zur Folge haben. Und die betäubende Wirkung des eisigen Flusses war so stark, daß sie nur noch einen winzigen Bruchteil ihres Tastsinnes besaß. Sie kam sich deshalb wie ein körperloses Wesen vor, das im Fegefeuer – was immer das auch sein mochte – auf sein endgültiges Urteil wartete.
    In der Annahme, daß der Fluß nicht viel tiefer war als das Auto und daß sie deshalb nicht lange brauchen würde, um an die Wasseroberfläche zu gelangen und Luft zu holen, versuchte sie noch einmal, Hatch zu befreien. Auf der Motorhaube liegend und sich mit gefühlloser Hand am Rahmen der Windschutzscheibe festhaltend, um
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