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Das verschwundene Kind

Das verschwundene Kind

Titel: Das verschwundene Kind
Autoren: Doris Bezler
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Offenbacher Verhältnisse und den erfolgreichen Umgang damit lernen.
    Heck fuhr fort: »Irgendwann erzählst du mir vielleicht mal bei ’nem Bier, was dich heute so aus dem Gleis geworfen hat.«
    Stephan nickte abermals. Er fühlte sich wie ein Schuljunge, der vom Lehrer gerügt, letztendlich aber doch wohlwollend behandelt wurde. Er wandte sich zur Tür und hielt plötzlich inne. Sein Blick war auf einen kleinen Tretmülleimer gefallen, der in einer Ecke hinter der Tür stand und gar nicht zu den übrigen Designermöbeln passte. Er öffnete den Deckel. Dann streifte er schnell Einmalhandschuhe über und zog aus dem Eimer kleine, weiße, mit hellblauen Klebstreifen verschlossene Päckchen hervor.
    »Was ist das?«, fragte Heck erstaunt.
    »Gebrauchte Babywindeln, ordentlich entsorgt. Kleinste Größe, vermutlich von einem Neugeborenen«, erklärte Stephan.
    Heck pfiff anerkennend und grinste. »Bist du sicher, dass sie dich von einer Polizeistation hierher versetzt haben und nicht von einer Kinderstation?«
    Ein stilles Lächeln huschte über Stephans Gesicht. Er öffnete nacheinander die Schubladen der Kommode. Alle waren leer. Er tastete die nicht einsehbaren hinteren Bereiche ab und zog ein Faltblatt mit Ernährungs- und Pflegetipps für Säuglinge hervor, das in einem Spalt eingeklemmt war. Er betrachtete die strahlenden Baby- und Müttergesichter auf den Werbefotos.
    »Die Frau ist tot, und das Kind ist weg«, sagte er leise.
    »Meinst du, da liegt ein Motiv?«, fragte Heck.
    Stephan zuckte mit den Schultern. »Kommt dir das hier wie ein Kinderzimmer vor?«, fragte er zurück, und Heck schaute, die Unterlippe vorgeschoben, skeptisch in die Runde.
    »Auf jeden Fall fehlt ein Kinderbett.«
    »Und so was wie eine Wickelunterlage und Pflegeutensilien«, ergänzte Lars Stephan.
    »Na, du kennst dich ja perfekt aus.« Der Alte grinste. »Du gehörst wohl zu den neuen Männern, die artig ihr Wickelpraktikum absolviert haben? Da hatte ich noch Glück, bei mir hat das alles meine Frau übernommen. Die hätte mich gar nicht rangelassen. Wie blöd ich mich schon anstellte, wenn ich die Kleinen mal aus den Bettchen nahm. Das grenzt an fahrlässige Körperverletzung, hat sie gesagt. Das sind doch keine Affen, die sich überall anklammern können. Der Junge ist heute Rechtsanwalt, Strafrecht. Meine Tochter ist Grundschullehrerin. Wie viele Kinder hast du?«
    Lars Stephan antwortete nicht und trat ans Fenster. In Gedanken sah er die verschwommenen Konturen eines von einem blonden Haarkranz eingerahmten Kindergesichtes. Es war, als spiegelte sich das kleine Mädchen in der Glasscheibe vor ihm. Jetzt lächelte es ihn an. Verschmitzt und voller Lebensfreude. »Papa, hast du jetzt Zeit?«, schien es zu fragen. Stephan schüttelte den Kopf. Heck wertete das als Antwort auf seine Frage.
    »Also noch keine Kinder. Na ja, du bist noch jung genug dafür.«
    Stephan presste die Lippen zusammen und zwang sich, durch die Fensterscheibe hinab in den Innenhof der Wohnanlage zu schauen, der sehr sauber und gepflegt wirkte.
    »Das hier ist etwas für Besserverdienende, oder?«, fragte er.
    Heck stellte sich hinter ihn und schaute ebenfalls hinaus.
    »Hier zu wohnen oder in der Siedlung da draußen ist ein himmelweiter Unterschied«, erklärte er.
    Lars Stephan ließ seine Blicke noch einmal durch das Zimmer wandern. »Es sieht aus, als habe hier jemand gründlich aufgeräumt und alle Hinweise auf das Kind verschwinden lassen.«
    Heck schürzte nachdenklich die Lippen. »Und der Eimer mit den Windeln?«
    »Wurde übersehen. Wenn man hereinkommt, verschwindet er hinter der geöffneten Tür.«
    Heck nickte. »Da ist was dran. Wir müssen abwarten, was Pathologie und Spurensicherung herausfinden. Dann wissen wir, ob es das Kind der Toten ist und wo hier überall gründlich aufgeräumt wurde.« Mit diesen Worten verließ er den Raum.
    Lars Stephan war geblieben und stand am Fenster. Heck, der Hüne, ging jetzt mit ausgreifenden Schritten und hängenden Schultern unten über den Hof, um die Familie der Toten aufzusuchen. Plötzlich blieb er stehen und wandte sich um. Offensichtlich war er von Ernestine Hoff gerufen worden, die ihn mit schnellen Schritten einholte. Erstaunlich, welches Tempo Ernie trotz ihrer barocken Figur an den Tag legte. Sie reichte Heck nur bis zur Brust und sprach, den Hals durchgestreckt und den Blick nach oben gerichtet, auf ihn ein. Hin und wieder fuhr sie sich dabei mit männlich anmutender Geste durch das
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