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Das Vermächtnis von Erdsee

Das Vermächtnis von Erdsee

Titel: Das Vermächtnis von Erdsee
Autoren: Ursula K. Leguin
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er ihn bei sich. Das Schiff würde sich über Wasser halten und sich gut lenken und steuern lassen, aber es würde nie ganz richtig steuern.
    Das war das Beste, was er tun konnte, um gegen den Missbrauch tüchtiger Arbeit und eines tüchtigen Schiffes zu protestieren. Er war zufrieden mit sich selbst. Als das Schiff vom Stapel gelassen wurde (und alles schien in Ordnung damit, da sein Defekt sich erst auf hoher See zeigen würde), konnte er es sich nicht verkneifen, seinen Lehrern zu erzählen, was er getan hatte, dem kleinen Kreis von alten Männern und Hebammen, dem jungen Buckligen, der mit den Toten sprechen konnte, dem blinden Mädchen, das die Namen der Dinge wusste. Er erzählte ihnen von seinem Trick, und das blinde Mädchen lachte, aber die alten Leute sagten: »Gibt acht. Pass auf. Halt dich im Verborgenen.«
     
    In Losens Diensten stand ein Mann, der sich selbst Hund nannte, weil er, wie er sagte, eine Spürnase für Hexerei hatte. Seine Aufgabe war es, Losens Essen, Trinken, Kleidung und seine Frauen zu beschnüffeln, alles, was von feindlichen Zauberern gegen ihn verwendet werden konnte; auch seine Kriegsschiffe zu inspizieren. Ein Schiff ist ein zerbrechliches Ding in einem gefähr-liehen Element, anfällig für Zauber und Flüche. Sowie Hund auf die neue Galeere kam, roch er etwas. »Gut, gut«, sagte er, »wer ist das?« Er trat zum Steuerrad und legte die Hand darauf. »Das ist schlau«, überlegte er. »Aber wer ist das? Ein Neuer, glaube ich.« Er schnüffelte voller Anerkennung. »Sehr schlau«, sagte er.
     
    Sie kamen nach Einbruch der Dunkelheit in das Haus in der Bootsbauergasse. Sie traten die Tür ein, und Hund, der unter den bewaffneten und gerüsteten Männern stand, sagte: »Ihn. Die anderen lasst in Ruhe.« Und zu Otter sagte er leise und in freundschaftlichem Ton: »Rühr dich nicht.« Er spürte eine große Kraft in dem jungen Mann, genug, um leichte Angst vor ihm zu haben. Aber Otters Verzweiflung war zu groß und seine Ausbildung zu unvollkommen, als dass es ihm in den Sinn gekommen wäre, Magie einzusetzen, um sich zu befreien und der Grausamkeit der Männer Einhalt zu gebieten. Er stürzte sich auf sie und bekämpfte sie wie ein Tier, bis sie ihn auf den Kopf schlugen. Otters Vater brachen sie den Kiefer, seine Mutter und seine Tante schlugen sie bewusstlos, um ihnen einzubläuen, dass man keine mit magischen Kräften begabten Kinder großziehe. Otter aber nahmen sie mit.
    Keine Tür öffnete sich in der schmalen Gasse. Keiner schaute hinaus, um zu sehen, was das für ein Lärm war. Erst lange, nachdem die Männer wieder fort waren, kamen einige Nachbarn herbeigeschlichen, um Otters Leute zu trösten, so gut es eben möglich war. »Oh, diese Zauberkraft, sie ist ein Fluch, sie ist ein Fluch«, sagten sie.
    Hund berichtete seinem Herrn, dass sie den Hexer an einen sicheren Ort gebracht hätten, und Losen fragte: »Für wen hat er gearbeitet?«
    »Er hat auf Eurer Werft gearbeitet, Eure Hoheit.«
    Losen ließ sich gern mit königlichen Würdentiteln an-reden.
    »Wer hat ihn gedungen, das Schiff zu verhexen, du Narr?«
    »Das scheint seine eigene Idee gewesen zu sein, Majestät.«
    »Warum? Welchen Gewinn hätte er davon gehabt?«
    Hund zuckte die Achseln. Er hatte nicht vor, Losen darüber aufzuklären, dass die Leute ihn auch ohne materiellen Vorteil hassten.
    »Er ist begabt, sagst du. Kannst du ihn benutzen?«
    »Ich kann es versuchen, Euer Hoheit.«
    »Mach ihn gefügig oder begrab ihn«, sagte Losen und wandte sich wichtigeren Angelegenheiten zu.
     
    Otters bescheidene Lehrer hatten ihm Stolz beigebracht. Sie hatten ihm tiefe Verachtung für Zauberer eingeflößt, die für Männer wie Losen arbeiteten und damit die Magie aus Angst oder Habgier für niedere Zwecke missbrauchten. Seiner Ansicht nach war nichts verab-scheuenswürdiger als ein solcher Verrat ihrer Kunst. Daher verwunderte und ärgerte es ihn, dass er Hund nicht verachten konnte.
    Man hatte ihn in einen Lagerraum in einem der alten Paläste gesperrt, die Losen sich angeeignet hatte. Es gab dort kein Fenster, die schwere Eichentür war mit Eisen beschlagen und verriegelt, und die Bannflüche, die auf die Tür gelegt worden waren, hätten auch einen weitaus erfahreneren Magier hier gefangen gehalten. Männer mit großer Macht und Erfahrung standen in Losens Diensten.
    Hund hielt sich selbst für keinen von ihnen. »Alles, was ich habe, ist meine Spürnase«, sagte er. Er kam täglich, um nachzusehen, ob Otter sich
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