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Das Vermächtnis des Shalom Shepher - Roman

Das Vermächtnis des Shalom Shepher - Roman

Titel: Das Vermächtnis des Shalom Shepher - Roman
Autoren: Tamar Yellin
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Mutter nie richtig geliebt.« Fünfundzwanzig Jahre später brannte ich immer noch darauf, ihm das Gegenteil zu beweisen.
    Der Moment ging vorüber, ich war fertig mit Putzen und räumte den Kühlschrank ein. Die paar Dinge wirkten karg und verloren in seiner weißen Weite. Später am Nachmittag setzte Saul sich zu mir ins kalte Wohnzimmer und pupste sanft von dem üppigen Essen, mit dem ich ihn gefüttert hatte. Gemeinsam blätterten wir in den schwarzen Seiten eines Familienalbums, auf dem eine Kupferplatte mit einer Darstellung der Klagemauer prangte: angespannte Studiofotos mit gestärkten Kragen und geknöpften Westen; sepiafarbene Porträts unserer verloren gegangenen, namenlosen litauischen Verwandtschaft. Hochzeitsbilder, ganze Horden von Cousins. Mein Onkel Cobby und seine Frau Fania, meine Tante Miriam und ihr Mann Dov. Unsere Ankunft im Hafen von Haifa: meine Mutter in einem blendend weißen Sommerkleid, mein Vater förmlich gekleidet und mit einem Homburg.
    Zwischen den Seiten steckte das Foto eines Mädchens mit dunklen Augen und dunklem Haar, in den geknöpften Tweed der dreißiger Jahre gekleidet. Ein Foto, das hineingeschoben worden war, das nicht dazugehörte. Keine Tante oder Cousine, keine der Verlobten, die später aufgetaucht waren, bei einer schlichten Kriegshochzeit, neben einem grimmig dreinschauenden Bräutigam. Ungewöhnlich und hübsch: Ich überlegte, wer sie war.
    »Wer ist das?«, fragte ich meinen Onkel.
    Und er antwortete ungerührt: »Oh, das ist Hannah. Wusstest du das nicht? Sie war das Mädchen deines Vaters.«

Neuntes Kapitel
     
    Das Paar schlief hinter dem Vorhang im Haus in der Chabad-Straße. Raphaelovitch lag die ganze Nacht mit gespitzten Ohren da und wartete auf die Laute der Fortpflanzung.
    Ich sagte, meine Urgroßmutter hatte den Ruf, hart zu sein, und das war sie auch: kalt und hart wie ein Kerzenständer aus Messing. Es gab keine Liebe zu Beginn ihrer Ehe, und es gab auch keine wundersame Liebe am Ende. Batsheva kochte täglich ein Huhn für ihren Mann und ihren Vater. Sie gab Raphaelovitch das weiße Fleisch, weil sie zu Recht annahm, dass Shepher das dunkle bevorzugte. Wenn ihr Mann morgens durch die Küche kam, rupfte sie das Huhn. Wenn er abends zurückkehrte, kochte sie die Knochen aus. Bei keiner der beiden Gelegenheiten wechselten sie ein liebes Wort.
    Kurz nach ihrer Hochzeit verkaufte sie ihren Hochzeitsschmuck und stieg ins Essiggeschäft ein. Daher stammte ihr Spitzname »Batsheva die Saure«. Wenn sie nicht gerade ein Huhn kochte, dann siedete und filterte sie, mischte und reduzierte, ließ gären und filterte wieder, bis sie den Essig schließlich klar und golden in glänzende Flaschen abfüllte, die sie vom Haus in der Chabad-Straße aus verkaufte. Mit dem Erlös begann sie zu experimentieren, denn meine Urgroßmutter war eine geborene Wissenschaftlerin. Sie versuchte, den Saft von Apfelsinen und Feigen und Kaktusfeigen, die sie vor dem Misttor sammelte, vergären zu lassen. Sie machte Orangenessig, Feigenessig und Kaktusfeigenessig. Sie machte sogar Essig aus Honig. Sie ging zum Gewürzmarkt und kaufte Rosmarin und Thymian und Lorbeerblätter, Knoblauch und Zimt und Chilischoten. All die wunderbaren Spielarten von sauer und würzig, scharf und pikant erblühten unter ihren Händen. Den Jerusalemer Frauen,
die ungemein abergläubisch waren, erklärte sie die besonderen Eigenschaften jeder Flasche: dass die eine Kopfschmerzen lindere, die andere Fieber senke; diese belebend wirke, jene einen gut schlafen lasse. Sie nutzte das Wissen, das sie von den Fellachinnen auf dem Markt aufgeschnappt hatte, ein bisschen hatte sie sich angelesen, und den Rest dachte sie sich kurzerhand aus, obwohl sie in keinem anderen Bereich außer der Herstellung und der Anwendung von Essig je Fantasie bewies.
    Mit den Flaschen, die von jeder Charge übrig blieben, fing sie an, Dinge einzulegen, und das Einlegen wurde zu einer neuen Entdeckungsreise und einer neuen Besessenheit. Sie legte Zitronen mit Pfefferschoten ein, Feigen mit Zimt und Nelken, Kohl mit Koriander. Sie experimentierte damit, Gemüse in Salzlake zu pökeln und Oliven in Lauge einzuweichen. Beim Tintenmacher in der Hajehudim-Straße kaufte sie Kupfersulfatkristalle und Vitriol, die in alten Rezepten genannt wurden, und Alaun und gelöschten Kalk für Klarheit und Farbe. Ihre Hände wurden rissig von den aggressiven Mixturen, und wohin sie auch ging, hinterließen ihre Kleider einen essigsauren Geruch in der Luft.
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