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Das Verlorene Symbol

Das Verlorene Symbol

Titel: Das Verlorene Symbol
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von Menschen im modernen Zeitalter Mutprobe und Ritus zugleich geworden – für adrette Teenager über verdreckte Junkies bis hin zu gelangweilten Hausfrauen.
    Der Akt des Sich-Tätowieren-Lassens war eine machtvolle Transformation und zugleich eine Botschaft an die Welt: Siehe, ich bin Herr meines eigenen Fleisches. Das berauschende Gefühl der Kontrolle, das sich aus der körperlichen Wandlung speist, hatte Millionen süchtig gemacht nach Veränderungen des eigenen Körpers: kosmetische Chirurgie, Piercing und Branding, Bodybuilding und Steroide, selbst Bulimie und Geschlechtsumwandlung. Der menschliche Geist verlangt nach Herrschaft über seine fleischliche Hülle.
    Ein Glockenschlag ertönte von Mal'akhs Standuhr, und er blickte auf. Halb sieben. Er legte das Tätowierwerkzeug beiseite, hüllte seinen nackten, ein Meter neunzig großen Körper in einen Badeumhang aus japanischer Seide und trat hinaus auf den Flur. Die Luft in dem großräumigen Wohnhaus war geschwängert vom beißenden Geruch der Tätowierfarbe und dem Rauch der Bienenwachskerzen, mit denen Mal'akh seine Nadeln sterilisierte. Vorbei an wertvollen italienischen Antiquitäten – einer Radierung von Piranesi, einem Savonarolastuhl, einer silbernen Bugarini-Öllampe – ging der hochgewachsene junge Mann über den Flur.
    Im Vorübergehen warf er einen Blick durch ein wandhohes Fenster und bewunderte die klassische Skyline in der Ferne. Die angestrahlte Kuppel des Kapitols hob sich machtvoll und majestätisch vor dem dunklen Winterhimmel ab.
    Das ist der Ort des Geheimnisses, ging es Mal'akh durch den Kopf. Irgendwo da draußen liegt es vergraben.
    Wenige Menschen wussten von seiner Existenz … und noch weniger kannten seine beeindruckende Macht oder waren darin eingeweiht, auf welch raffinierte Weise es versteckt worden war. Bis heute blieb es das größte unerforschte Rätsel des Landes. Die wenigen, die die Wahrheit kannten, hielten sie hinter einem Schleier von Symbolen, Legenden und Allegorien verborgen.
    Jetzt haben sie ihre Türen für mich geöffnet, dachte Mal'akh.
    Vor drei Wochen war er in einem dunklen Ritual im Beisein einiger der einflussreichsten Männer Amerikas in den 33. Grad erhoben worden, die höchste Stufe der ältesten noch existierenden Bruderschaft der Welt. Trotz Mal'akhs neuem Rang hatten die Brüder ihm nichts erzählt. Und das werden sie auch nicht, dachte er. So läuft das nun mal nicht. Es gab Kreise innerhalb von Kreisen … Bruderschaften innerhalb von Bruderschaften. Selbst wenn Mal'akh Jahre wartete – ihr letztes Vertrauen würde er vielleicht nie gewinnen.
    Zum Glück brauchte er ihr Vertrauen nicht, um an ihr tiefstes und kostbarstes Geheimnis zu gelangen.
    Meine Erhebung hat ihren Zweck erfüllt.
    Mal'akh ging zum Schlafzimmer, angespornt von dem, was vor ihm lag. Im ganzen Haus drangen betörende Klänge aus den Lautsprechern: die seltene Aufnahme einer Kastratenstimme, die das ›Lux Aeterna‹ aus dem Verdi-Requiem sang – eine Erinnerung an ein früheres Leben. Mal'akh drückte auf eine Fernbedienung, um zu dem majestätischen ›Dies Irae‹ zu gelangen. Begleitet von donnernden Pauken und parallelen Quinten sprang er sodann die breite Marmortreppe hinauf, dass die Robe sich um seine muskulösen Beine bauschte.
    Während er rannte, knurrte protestierend sein leerer Magen. Seit zwei Tagen hatte Mal'akh nun gefastet, hatte nur Wasser getrunken und nichts gegessen, um seinen Körper gemäß den alten Vorschriften bereit zu machen. Bei Sonnenaufgang wird dein Hunger gestillt sein, sagte er sich. Und dein Schmerz gelindert.
    Mal'akh betrat das Allerheiligste seines Schlafgemachs und schloss hinter sich die Tür. Als er zum Ankleidebereich schritt, hielt er inne. Er fühlte sich hingezogen zu dem großen, von einem Goldrahmen eingefassten Spiegel; die Versuchung, sein eigenes Spiegelbild zu betrachten, war zu stark. Langsam, als würde er ein Geschenk von unschätzbarem Wert auspacken, öffnete Mal'akh seine Robe und enthüllte seine nackte Gestalt. Der Anblick verschlug ihm die Sprache.
    Ich bin ein Meisterwerk.
    Sein massiger Körper war rasiert und glatt. Mal'akh schaute zuerst auf seine Füße, die mit den Schuppen und Klauen eines Falken tätowiert waren; dann bewegte sein Blick sich hinauf zu seinen muskulösen Beinen, die als gemeißelte Säulen gestaltet waren – das linke Bein spiralförmig tätowiert, das rechte mit vertikalen Streifen. Boas und Jachin . Seine Lenden und sein Magen bildeten
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