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Das Verlorene Labyrinth

Das Verlorene Labyrinth

Titel: Das Verlorene Labyrinth
Autoren: Kate Mosse
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der Brust aus. Sein Gesicht war papierweiß, und Alice konnte die blauen Venen unter dem dünnen Furnier der Haut sehen.
    »Wir müssen hier raus«, schrie sie. »Vielleicht gibt es noch mehr Explosionen. Es kann jeden Moment weitergehen.«
    Er lächelte.
    »Es ist vorbei, Alice«, sagte er leise. »A la perfin. Der Gral hat seine Geheimnisse behütet, so wie schon einmal. Er hat nicht zugelassen, dass sie bekommt, was sie will.«
    Alice schüttelte den Kopf. »Nein, jemand hat in der Höhle Sprengladungen versteckt, Audric«, sagte sie. »Vielleicht geht noch eine hoch. Wir müssen raus.«
    »Es wird keine Explosion mehr geben«, sagte er. Es lag keinerlei Zweifel in seiner Stimme. »Das war alles nur das Echo der Vergangenheit.«
    Alice sah ihm an, dass das Sprechen ihm Schmerzen bereitete. Sie senkte den Kopf zu ihm. Ein leises Rasseln drang aus seiner Brust, und seine Atmung war flach und kraftlos. Sie versuchte die Blutung zu stoppen, musste aber einsehen, dass es hoffnungslos war.
    »Ich wollte wissen, wie ihre letzten Augenblicke waren. Verstehen Sie das? Ich konnte sie nicht retten. Sie war drinnen eingeschlossen, und ich konnte nicht zu ihr.« Er keuchte vor Schmerzen auf. Schnappte nach Luft.
    »Aber diesmal ...«
    Endlich akzeptierte Alice das, was sie instinktiv vom ersten Augenblick an gewusst hatte, als sie nach Los Seres kam und ihn in der Tür des kleinen Steinhauses stehen sah, das sich an den Berg schmiegte.
    Es ist seine Geschichte. Es sind seine Erinnerungen.
    Sie dachte an den Stammbaum, der mit so viel Liebe und Sorgfalt zusammengestellt worden war.
    » Sajhë «, sagte sie schließlich.
    Einen Moment lang glomm Leben in seinen bernsteinfarbenen Augen. Ein Ausdruck tiefer Freude strömte über sein sterbendes Gesicht.
    »Als ich aufwachte, lag Bertrande neben mir. Irgendwer hatte uns zum Schutz gegen die Kälte mit Mänteln zugedeckt ...«
    »Guilhem«, sagte Alice und wusste, dass es stimmte.
    »Ein schreckliches Donnern war zu hören. Ich sah den Gesteinssims über dem Eingang zusammenbrechen. Es gab eine kleine Lawine aus Steinen und Geröll, und ein großer Felsbrocken stürzte herab, verschloss den Zugang zur Höhle. Ich konnte nicht zu ihr«, sagte er mit zitternder Stimme. »Zu ihnen.« Er rang um Fassung.
    »Dann hörte es auf. Plötzlich war alles still. Ich wusste nicht, was geschehen war«, sagte er gequält. »Ich hatte Alaïs mein Wort gegeben, dass ich das Buch der Wörter in Sicherheit bringen würde, falls ihr irgendwas zustieß, aber ich wusste ja nichts. Ich wusste nicht, ob Oriane das Buch hatte oder wo sie war.« Seine Stimme verklang zu einem Flüstern. »Nichts.«
    »Die Skelette, die ich gefunden habe, waren dann also Guilhem und Alaïs «, sagte sie - eine Feststellung, keine Frage.
    Sajhë nickte. »Orianes Leiche fanden wir ein Stück weiter unten am Hang. Sie hatte das Buch nicht bei sich. Erst da wusste ich Bescheid.«
    »Sie sind gemeinsam gestorben, um das Buch zu retten. Alaïs wollte, dass Sie leben, Sajhë . Dass Sie leben und sich um Bertrande kümmern, um Ihre Tochter, denn das war sie praktisch.« Er lächelte. »Ich wusste, Sie würden es verstehen«, sagte er. Die Worte drangen wie ein Seufzer zwischen seinen Lippen hervor. »Ich habe zu lange ohne sie gelebt. Jeden Tag habe ich sie vermisst. Jeden Tag habe ich mir gewünscht, nicht zum Leben verdammt zu sein, während um mich herum alle, die ich liebe, alt werden und sterben. Alaïs , Bertrande ...«
    Er brach ab. Sie empfand tiefes Mitleid mit ihm.
    »Sie dürfen sich nicht länger schuldig fühlen, Sajhë . Jetzt, da Sie wissen, was geschehen ist, müssen Sie sich selbst verzeihen.« Alice spürte, wie er ihr entglitt.
    Bring ihn zum Reden. Er darf nicht einschlafen.
    »Damals gab es im Land des Pay d'Oc eine Prophezeiung«, sagte er. »Dass einer geboren werden würde, dessen Schicksal es sein sollte, von der Tragödie Zeugnis abzulegen, die dieses Land heimsuchte. Wie die anderen vor mir - wie Abraham, Methusalem, Harif - habe ich mir das nicht gewünscht. Aber ich habe es angenommen.«
    Sajhë rang um Atem.
    Alice zog ihn näher an sich, wiegte seinen Kopf in den Armen. »Wann?«, fragte sie. »Erzählen Sie es mir.«
    » Alaïs hat den Gral gerufen. Hier. In dieser Kammer. Ich war damals sechsundzwanzig Jahre alt. Ich war nach Los Seres zurückgekommen, glaubte, dass mein Leben sich ändern würde. Ich glaubte, dass ich Alaïs für mich gewinnen, von ihr geliebt werden könnte.«
    »Und sie hat Sie
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