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Das Verlorene Labyrinth

Das Verlorene Labyrinth

Titel: Das Verlorene Labyrinth
Autoren: Kate Mosse
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ist ihr letzter Tag bei der Ausgrabung, und sie will sich beweisen. Wenn sie jetzt ins Hauptlager geht und den anderen erzählt, dass sie vielleicht etwas gefunden hat, wollen alle mitmachen, und dann wäre es nicht mehr ihre Entdeckung.
    In den nächsten Tagen und Wochen wird Alice an diesen Augenblick zurückdenken. Sie wird sich an das besondere Licht erinnern, an den metallischen Geschmack von Blut und Staub im Mund, und sie wird sich fragen, wie anders alles gekommen wäre, wenn sie sich entschieden hätte, ins Camp zu gehen und nicht zu bleiben. Wenn sie sich an die Regeln gehalten hätte.
    Sie saugt den letzten Tropfen Wasser aus der Flasche und wirft sie zurück in ihren Rucksack. Gut eine Stunde arbeitet sie weiter, während die Sonne am Himmel höher steigt und die Temperatur klettert. Die einzigen Geräusche sind das Schaben von Metall auf Stein, das Sirren der Insekten und das gelegentliche Brummen eines kleinen Flugzeugs in der Ferne. Sie spürt die Schweißperlen auf der Oberlippe und zwischen den Brüsten, aber sie macht weiter, bis die Lücke unter dem Felsen schließlich so groß ist, dass sie die Hand hineinschieben kann.
    Alice kniet sich auf die Erde und presst Wange und Schulter gegen den Felsen, um sich abzustützen. Dann streckt sie die Finger mit einem aufgeregten Beben in die dunkle, verborgene Erde. Sie weiß sofort, dass sie den richtigen Instinkt hatte, dass sie etwas gefunden hat, das es wert ist, gefunden zu werden. Es fühlt sich glatt und schmutzig an, Metall, kein Stein. Entschlossen greift sie danach und ermahnt sich, nicht zu viel zu erwarten, zieht dann den Gegenstand ganz langsam ans Licht. Die Erde scheint zu erschaudern, als wollte sie ihren Schatz nicht hergeben.
    Alice nimmt kaum wahr, dass der satte, süßliche Geruch von nasser Erde ihr in Nase und Kehle dringt. Sie ist jetzt in der Vergangenheit versunken, fasziniert von dem Stück Geschichte in ihrer Hand. Es ist eine schwere, runde Verschlussschnalle für Mäntel oder Gewänder, eine so genannte Scheibenfibel, die vom Alter und von der langen Zeit unter der Erde schwarz und grün gefleckt ist. Alice reibt mit den Fingern darüber und lächelt, als unter dem Schmutz allmählich die Silber- und Kupferverzierungen zum Vorschein kommen. Die Schnalle könnte aus dem Mittelalter sein, sie hat solche Schnallen schon einmal gesehen.
    Ihr ist bewusst, dass sie keine voreiligen Schlüsse ziehen oder sich von ersten Eindrücken verleiten lassen sollte, trotzdem kann sie nicht anders, als sich den Besitzer vorzustellen, den das Leben einst hierher geführt hat und der nun schon so lange tot ist. Ein Fremder, dessen Geschichte sie erst noch erkunden muss. Alice ist so von der Vorstellung gefangen, dass sie nicht merkt, wie sich der Felsbrocken bewegt. Dann lässt sie irgendetwas, eine Art sechster Sinn, aufschauen. Für den Bruchteil einer Sekunde scheint die Welt in der Schwebe zu sein, raumlos, zeitlos. Gebannt starrt sie auf den uralten Stein, der ins Schwanken geraten ist, dann kippt und anmutig auf sie zufällt.
    Im allerletzten Moment zersplittert das Licht. Der Bann ist gebrochen. Alice wirft sich gerade noch rechtzeitig zur Seite, halb stolpernd, halb schlitternd. Um ein Haar wäre sie zerquetscht worden. Der Felsbrocken schlägt mit dumpfer Wucht auf dem Boden auf, wirbelt eine blassbraune Staubwolke hoch und rollt dann wie in Zeitlupe weiter, bis er ein Stück tiefer am Hang zum Stillstand kommt.
    Alice hält sich verzweifelt an Büschen und Sträuchern fest, um nicht weiter nach unten zu rutschen. Einen Moment lang bleibt sie ausgestreckt auf der Erde liegen, benommen und ohne Orientierung. Als ihr klar wird, wie knapp sie dem Tod entgangen ist, wird ihr kalt. Haarscharf , denkt sie. Sie atmet tief durch. Wartet ab, bis die Welt um sie herum aufhört sich zu drehen. Allmählich lässt das Dröhnen in ihrem Kopf nach. Die Übelkeit im Magen legt sich, und alles wird wieder halbwegs normal, zumindest kann sie sich aufsetzen und erste Bilanz ziehen. Ihre Knie sind aufgeschürft und blutig, und sie hat sich beim Aufprall das Handgelenk angeschlagen, weil sie die Schnalle festgehalten hat, aber ansonsten ist sie bis auf ein paar Kratzer und Prellungen glimpflich davongekommen. Ich bin nicht ernsthaft verletzt. Sie steht auf und kommt sich völlig idiotisch vor, als sie sich den Staub abklopft. Wie konnte sie nur so einen grundlegenden Fehler machen und den Felsen nicht absichern? Sie blickt hinunter zum Hauptlager, verwundert
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