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Das Verlorene Labyrinth

Das Verlorene Labyrinth

Titel: Das Verlorene Labyrinth
Autoren: Kate Mosse
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durch die Aufnahme in die Gemeinschaft verändern wird.
    Er wird jäh in die Gegenwart zurückgeholt, als er stolpert und beinahe über die steinerne Kniebank vor dem Altar gefallen wäre. Die Kammer ist kleiner, als er sie sich aufgrund des Planes vorgestellt hatte, enger und klaustrophobischer. Er hatte die Entfernung zwischen Tür und Stein größer geschätzt.
    Als er auf dem Stein niederkniet, schnappt irgendjemand ganz in seiner Nähe nach Luft, und er fragt sich, wieso. Sein Herzschlag beschleunigt sich, und als er nach unten schaut, sieht er, dass seine Handknöchel weiß sind. Verlegen presst er die Hände zusammen, doch dann erinnert er sich wieder und lässt die Arme locker herabhängen, so wie es sein soll.
    Eine leichte Vertiefung befindet sich in der Mitte des Steines, der hart und kalt durch den dünnen Stoff der Robe zu spüren ist. Er rutscht ein bisschen hin und her, sucht nach einer bequemeren Position. Das Unbehagen ist etwas, worauf er sich konzentrieren kann, und dafür ist er dankbar. Ihm ist noch immer schwindelig, und er hat Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren. Er erinnert sich auch nicht mehr, in welcher Reihenfolge jetzt alles ablaufen wird, obwohl er es im Kopf immer wieder durchgespielt hat.
    In der Kammer beginnt eine Glocke zu läuten, ein hoher, dünner Ton. Gleichzeitig setzt ein tiefer Gesang ein, zunächst leise, doch rasch immer lauter werdend, je mehr Stimmen einfallen. Fetzen von Wörtern und Sätzen dringen an sein Ohr: montanhas, Berge; Noblesa, Adel; libres, Bücher; graal, Gral ...
    Die Priesterin tritt hinter dem Altar hervor und geht durch die Kammer. Er kann das leise Scharren ihrer Füße hören und stellt sich vor, wie ihre goldene Robe im flackernden Kerzenschein schimmert und schwingt. Das ist der Augenblick, auf den er gewartet hat.
    »]e suis pret«, wiederholt er im Flüsterton. Und diesmal meint er es auch so.
    Die Priesterin bleibt vor ihm stehen. Er kann ihr Parfüm riechen, dezent und zart unter dem berauschenden Duft des Weihrauchs. Er hält den Atem an, als sie sich vorbeugt und seine Hand nimmt. Ihre Finger sind kühl und manikürt, und ein Stromstoß, fast schon Begehren, schießt ihm durch den Arm, als sie ihm etwas Kleines, Rundes in die Hand drückt und dann seine Finger darum schließt. Jetzt will er - mehr als er je in seinem Leben etwas gewollt hat - in ihr Gesicht blicken. Aber er hält die Augen weiter auf den Boden gerichtet, wie man es ihm gesagt hat.
    Die vier ranghöheren Diener verlassen ihre Positionen und treten zu der Priesterin. Sein Kopf wird sacht nach hinten gezogen und eine dicke, süße Flüssigkeit zwischen seine Lippen geträufelt. Er hat damit gerechnet und leistet keinen Widerstand. Als die Wärme sich in seinem Körper ausbreitet, hebt er die Arme, und seine Begleiter legen ihm einen goldenen Umhang über die Schultern. Die Zeugen kennen das Ritual, und doch kann er ihre Beklommenheit spüren.
    Plötzlich hat er das Gefühl, als würde sich ihm ein Eisenring um den Hals legen und ihm die Luftröhre zerquetschen. Seine Hände schnellen hoch an die Kehle, und er ringt um Atem. Er will etwas rufen, aber er bringt kein Wort heraus. Der hohe, dünne Glockenklang setzt erneut ein, stetig und beharrlich, übertönt ihn. Übelkeit erfasst ihn. Er glaubt, ohnmächtig zu werden, und umklammert Hilfe suchend den Gegenstand in seiner Hand so fest, dass die Fingernägel sich in die weiche Haut der Handfläche bohren. Der stechende Schmerz hilft ihm, sich aufrecht zu halten. Erst jetzt wird ihm klar, dass die Hände auf seinen Schultern nicht tröstlich sind. Sie stützen ihn nicht, sondern drücken ihn nach unten. Eine weitere Welle der Übelkeit übermannt ihn, und ihm ist, als würde der Stein unter ihm weggleiten.
    Alles verschwimmt ihm vor den Augen, und er kann nicht mehr klar sehen, doch er erkennt, dass die Priesterin ein Messer hält, obwohl er sich nicht erklären kann, wie die silberne Klinge in ihre Hand gelangt ist. Er will aufstehen, aber die Droge ist zu stark, hat ihm schon alle Kraft geraubt. Er hat Arme und Beine nicht mehr unter Kontrolle.
    »Non!«, will er schreien, aber es ist zu spät.
    Zuerst denkt er, er habe einen Schlag zwischen die Schultern bekommen, mehr nicht. Dann dringt ein dumpfer Schmerz durch seinen Körper. Etwas Warmes und Weiches rinnt ihm langsam den Rücken herunter.
    Urplötzlich lassen die Hände ihn los, und er fällt nach vorn, sackt wie eine Stoffpuppe zusammen, während der Boden ihm
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