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Das verlorene Kind

Titel: Das verlorene Kind
Autoren: Rahel Sanzara
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Krampf zuckten seine Hände, aber er
riß sie los von dem weichen, warmen Haupt des Kindes, er schlug die
Nägel in das eigene Fleisch, er floh aus dem Zimmer, rannte über den
Hof, suchte nach Arbeit und ergriff endlich eine Axt, um mit wilden,
weit ausholenden Schlägen einen Stamm Holz zu spalten, und ließ das
lautlose Lachen aus der aufgewühlten Brust über die weit auseinander
geöffneten Lippen nach und nach ganz entweichen. Als er ruhig und müde
wurde, spürte er Durst. Er ging zum Brunnen und trank, fing das Wasser
in die gehöhlten Hände auf, fühlte wollüstig die Kühlung erst da und
dann in der heißen trockenen Höhle seines Mundes, in der er jeden
Schluck erst lange hin und her bewegte, ehe er ihn in die Kehle rinnen
ließ.
    Von diesem Ereignis an begann er völlig scheu zu werden und
alle menschliche Gesellschaft zu meiden. Da die drei Knaben nun von der
Amme getrennt wurden, und die Söhne eine eigene Kammer bezogen, bat er,
von nun an im Gesindehaus und allein schlafen zu dürfen, da er doch ja
nun bald zu den Knechten gehöre. Seine Mutter freute sich über seine
Bescheidenheit und setzte die Erfüllung seiner Bitte durch, obwohl der
Herr es gern hatte, den Knaben wie einen seiner Söhne zu halten.
    Nachdem so Fritz ein kleines Gelaß mit einem Bett im
Gesindehaus bezogen hatte, konnte er sich völlig versteckt halten. Die
anderen sahen ihn nur noch bei der Arbeit und bei den Mahlzeiten. In
den Feierstunden lief er allein durch die Felder in den Wald, streifte
umher, sang mit seiner hohen, sanften Stimme vor sich hin. In der
Dämmerung verkroch er sich oft in das Weidengebüsch des Teiches und
lauschte dem Treiben der Frösche, von den weichen, hüpfenden Tieren
seltsam angezogen. Er horchte auf ihre schnarrenden Rufe, auf das
Glucksen und hohle Plätschern ihrer Sprünge, nach und nach erkannte er
auch ihre Gestalten in der Dämmerung, sah sie auf den Blättern der
Sumpfgewächse hocken, unbeweglich still, in den weichknochigen Leibern
zuckte klopfend der Hammer der Pulse, wie Pulse klopfend bewegten sich
auch die vor- und zurückspringenden Hügel der Augen. Einmal beugte er
sich nieder und fing ein Tier in seine hohl aneinander geschlossenen
Hände. Weich und kühl und doch von Herzschlägen durchbebt, zuckte es
leise gegen die Flächen seiner Hände. Vom sanften Pulsschlag des Tieres
erweckt und aufgetrieben, strömte sein Blut auf, antwortete im
geheimnisvollen, gleichen Takt der harte Schlag seines Herzens jenen
kühlen, weichen Schlägen, die an das Innere seiner Hände rührten, und
krampften sich seine Hände zusammen, um das Tier, um die lockenden
Herzschläge zu ersticken, so ward im gleichen Maße seine Kehle
zusammengepreßt, er mußte den Mund öffnen, tief nach Luft seufzen, sein
Kopf sank tief in den Nacken, über das zurückgeneigte, engelhafte
Gesicht goß sich in Wellen schwarze Röte, die Augen, weit geöffnet und
mit glitzerndem Schein überzogen, starrten in den sanft verschleierten
Himmel der Dämmerung, und sein starker Körper ward von lautlosem Lachen
furchtbar erschüttert. Es drängte ihn, die Hände ganz ineinander zu
pressen, in tiefster Vereinigung den Herzschlag dort und den Herzschlag
in der eigenen Brust zu ersticken, die Kehle dort und die eigene Kehle
ganz zu erwürgen; doch er riß sie noch im letzten Augenblick
auseinander und tötete nicht völlig das Tier, das zur Erde niederfiel
und mit lahmen Sprüngen in das Gebüsch sich rettete. Nun versank in
Ruhe sein Herz und in Müdigkeit sein Blut. In haltloser Leichtigkeit
flatterten seine Hände. Er barg sie in den Taschen seines Rockes und
ging mit langsamen, erschöpften Schritten zum Haus. Er floh von diesem
Tage ab den Teich und seine Nähe.
    Ein Jahr später, wieder im Sommer, sah er, durch den Wald
wandernd, einen jungen, aus dem Nest gefallenen Vogel am Boden liegen.
Es war ein Rotkehlchen; seine winzigen, schwarzen Augen blinkten, der
kleine Schnabel öffnete und schloß sich lautlos klagend. Er hob ihn auf
und nahm ihn zwischen seine Hände. Das Herz des geängstigten Tieres,
das rasend gegen seine Hände schlug, jagte ihn auf; sein Blut, das in
wilden Strömen von ihm zu dem Vogel und von dem Vogel zu ihm zurück in
geheimnisvoller Verbundenheit kreiste, sein Herz, das zu furchtbaren
Doppelschlägen angefeuert wurde vom Takt des rasend in Angst
schlagenden Tierherzens, es jagte ihn auf, zur Flucht. Die Hand um den
Vogel gepreßt, die eigene
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