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Das verlorene Kind

Titel: Das verlorene Kind
Autoren: Rahel Sanzara
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Stimme. Er stand am Mittag auf
und war wie immer, fleißig, demütig und sanft. Abend für Abend
betrachtete Emma in Sorge sein schlafendes Gesicht, doch es blieb
unverändert schön und friedlich, es war edler und schöner als das aller
Kinder, die sie je gesehen hatte. So vergaß sie nach und nach ihr
Entsetzen und die Furcht vor dem eigenen Kind und hielt ihn ihrem
mütterlich reich liebenden Herzen nahe, wie die beiden anderen Kinder,
die ein fremder Leib geboren hatte, nicht mehr und nicht weniger.
    Als dann Fritz elf Jahre alt geworden war, übergab ihm der
Herr, um das ungewöhnliche Arbeitsbedürfnis des Knaben zu befriedigen,
gegen einen kleinen Wochenlohn einen Posten als Hüte- und Dienstjunge
auf dem Hof. Nun sah man Fritz nur noch bei der Arbeit, in seiner
freien Zeit hielt er sich allein und versteckt, und es war, als ob er,
außer wenn er arbeitete, überhaupt nicht lebe. Er verdiente sich Lob
und Zufriedenheit und bereitete der Mutter auf lange Zeit nur noch
reine Freude.
    Die nächsten Jahre vergingen für alle gut, die auf dem Hofe
beieinander lebten. Die Felder brachten reiche Ernten, die Herden
gediehen, die Menschen lebten in Eintracht, die Kinder wuchsen auf,
gesund, gut und schön. Der Lohn war gerecht, das Mahl reichlich, die
Feiertage voll friedlicher Freuden. Der Mann und die Frau lebten noch
immer in dem Glück ihrer ersten Tage. An den Tagen die Arbeit, die
Sorgen und Mühen, die Ernten, der Gewinn, das Gedeihen der Kinder,
alles diente ihnen nur, sie täglich neu zu verbünden und die Nächte
hochzeitlich zu erwarten, in denen die Frau ihren Kuß auf die Lippen
des Mannes schmiegte, übermütig ihr Lachen aus der jungen, vollen Brust
strömen ließ. Am Tage saß sie bei den Mahlzeiten an der Tafel ihm zur
Seite, seine Magd, wie die anderen auch, gehorchend seinem klugen
Blick, seinem guten Wort, wie die anderen auch. Aller Augen hingen
stets an ihm, denn mit seinen Sorgen trug er die Sorgen aller, mit
seinen Freuden empfingen sie die ihren.
    Der Herr war jetzt siebenunddreißig Jahre alt. Groß die
Gestalt, mit breiten Schultern, licht das Haupt über einer reinen, sehr
hohen, leicht gewölbten Stirn, licht der Bart, der das energische Kinn
bedeckte, den schmalen frommen Mund beschützte, von Adern durchzogen
sah man die schmalen Schläfen und Hände; doch am stärksten ruhte die
stille und gütige Macht, die von ihm ausstrahlte, in dem klugen,
herrschenden Blick seiner klaren Augen, die tief in ihre Höhlen
gebettet waren, von schweren Lidern keusch verhangen. Er sprach nicht
viel, ohne Befehl fast geschah alles nach seinem vorsorgenden Willen.
Er arbeitete von früh bis spät und ruhte nicht mehr und nicht früher,
als alle ruhen durften. Er lebte unter dem Gesinde, und das Gesinde
lebte im Vertrauen auf ihn. Er achtete bis zum Tagelöhner auf alle
Menschen, die ihn umgaben, und hatte sie sich gut erwählt.
    Als erster stand ihm Blank, der Wirtschafter, zur Seite,
ergraut in Alter und reicher Erfahrung, doch gefügig und treu dem
Willen seines jungen Herrn. Weiter hatte er um sich geschart den
Fischer Andres, der den großen Teich am Gutshof und die kleinen Seen
der Gemarkung bewachte, die schweren Teichfische fing, die kleinen
Dämme und Wehre errichtete, die die Bewässerung der Wiesen speisten und
regulierten, denn ein Fluß durchzog die Gegend nicht. Dann den Schmied,
der die Wagen und Pflüge baute und im Stande hielt, die Pferde
beschlug, Schlösser und Gitter errichtete, wo sie gebraucht wurden,
dann den Tischler und Zimmermann, den Dachdecker und die große Zahl der
Knechte, Mägde und Feldarbeiter. Die Katenwohnungen, die in weitem
Bogen das Gehöft umstanden, hatte er wohnlich herstellen lassen, denn
die Handwerker hausten drinnen mit Frauen und Kindern, die
verheirateten Feldarbeiter und Knechte. Die kleinen Häuser waren jedes
umzogen von einem schmalen Streifen Garten, in dem Gemüse wuchs und
Blumen blühten. Denn alle Nahrung, Mehl, Kartoffeln, Fleisch, die
Wäsche und Kleidung für Sommer und Winter, erhielten sie von dem Gute.
So kam es, daß sie nur für ihren Herrn arbeiteten, reine Feierstunden
genossen und doch den Lohn für Not und Alter sparen konnten. Die
übrigen, Knechte, Hirten, Pferdefütterer und Dienstboten, zwanzig an
der Zahl, wohnten in dem großen, geräumigen Gesindehaus, die Mägde in
den hellen Kammern des neuen Wohnhauses.
    Zwischen beiden nun, zwischen dem Kreis der kleinen Hütten und
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