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Das Verlies der Stuerme

Das Verlies der Stuerme

Titel: Das Verlies der Stuerme
Autoren: Boris Koch
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haben, war sie nicht leer.« Triumphierend schwenkte Nica ein Stück Pergament.
    »Was bei Samoths stinkendem Atem ist das?« Yanko starrte sie an. »Zeig her!«
    Auch Ben wurde von dem Fund völlig überrumpelt. War das etwa eine Schatzkarte? Hatten die Mädchen mit ihrer Strandhockerei mehr erreicht als sie beim Tauchen? Aufgeregt rutschte er zu Yanko hinüber. Nica legte das Pergament in den Sand. Es war keine Karte, sondern eine unverständliche Nachricht.

    Ben hatte solche Schriftzeichen noch nie gesehen. Sie waren kantiger als die Buchstaben des Tirdischen und wurden dominiert von geraden Linien; nirgendwo fand sich ein geschwungener Schnörkel oder auch nur ein kleines Häkchen. Wuchtige Zeichen wie aus Fels gehauen.
    »Auch wenn es keine Karte ist – meint ihr, das ist wenigstens
die Wegbeschreibung zu einem Schatz?« Yankos Stimme klang nur halb so hoffnungsvoll wie seine Worte.
    Ben schüttelte den Kopf. Üblicherweise handelte es sich bei einer Flaschenpost um einen Hilferuf, das wusste er aus zahlreichen Erzählungen, Piratengeschichten und Heldensagen. Vielleicht hatte sie ein unschuldig Gefangener aus seinem Verlies geworfen, in einen Fluss vor dem vergitterten Fenster, der ins ferne Meer mündete. Oder sie stammte von einem Schiffbrüchigen, der auf einer einsamen Insel irgendwo dort draußen festsaß und noch immer vom Pech verfolgt wurde. Ja, nicht nur verfolgt, geradezu verhöhnt! Wie unwahrscheinlich war es, dass eine solch winzige Flasche im riesigen Meer tatsächlich von irgendjemandem gefunden wurde? Dass sie an Land gespült und entdeckt wurde, bevor ein riesiger Fisch sie versehentlich schluckte oder sie an einer kantigen Klippe zerschellte? Dass sie von den Wellen in diese verlassene Bucht getragen wurde, just in jenem Moment, da sich hier vier Menschen aufhielten? Auf einen solchen Zufall zu hoffen, musste schwer sein.
    Und nun kamen all diese glücklichen Umstände zusammen, doch keiner der Finder konnte die Schriftzeichen lesen. Alles war vergebens. Wenn der Absender das wüsste, würde er fluchen und heulen wie ein Klagewolf und sich die Haare raufen, dachte Ben, noch mehr als sowieso schon. Er müsste verzweifeln.
    »Das ist bestimmt die Nachricht eines Schiffbrüchigen«, sagte Anula.
    »Und wo ein Schiffbrüchiger ist, da ist ein Schiff gesunken«, sagte Yanko. »Und wo ein Schiff gesunken ist, da liegt ein Schatz. Immer. So einfach ist das. Eine solche Nachricht ist fast so gut wie eine Schatzkarte.«

    »Oder er ist ein gefährlicher Meuterer, der niedergerungen und vom Kapitän und seiner getreuen Mannschaft ausgesetzt wurde. Dann ist da kein Schiff gesunken«, gab Ben zu bedenken.
    Seit sie selbst Vogelfreie waren, konnte er jedoch jeden gut verstehen, der meuterte oder sich sonst wie zur Wehr setzte, insbesondere wenn es sich um ein Schiff des Ordens der Drachenritter handelte.
    Doch bevor er weiter über Meuterer nachdenken konnte, tauchte plötzlich wieder das Bild eines gigantischen, geifernden Münzmolchs vor seinem geistigen Auge auf, und er war nicht mehr sonderlich erpicht darauf, einen versunkenen Schatz zu finden. Gegen einen vergrabenen Schatz auf der Insel selbst hätte er dagegen selbstverständlich nichts einzuwenden.
    »Ach, was, Meuterer. Das ist bestimmt ein Schiffbrüchiger, dessen Insel von versunkenen Truhen geradezu umzingelt ist. Einem Meuterer geben sie doch keine Flasche und Feder und Pergament mit, wenn sie ihn aussetzen!« Aufgekratzt drehte sich Yanko zu den dösenden Drachen um. »He, Aiphyron, kannst du das lesen?«
    »Nein, kann er nicht. Das haben wir ihn natürlich schon gefragt«, sagte Nica so spitz, wie es sonst nur Anula hinbekam. Die beiden Mädchen freundeten sich immer mehr an. »Auch die anderen drei. Wir haben nicht einfach nur so in der Sonne herumgesessen.«
    »Hab ich doch nie gesagt«, brummte Yanko.
    »Ach nein?«
    »Zumindest hab ich es nicht so gemeint.«
    »Dann ist es ja gut.«
    Ben starrte aufs Meer hinaus und versuchte zu erkennen,
woher die Wellen kamen. Irgendwo dort draußen lag eine Insel, auf der vielleicht ein Schiffbrüchiger oder Meuterer festsaß, einsam und ausgehungert. Seit Wochen oder Monaten, vielleicht gar seit Jahren. Der dieser Flasche nachgestarrt hatte, die all seine Hoffnungen über die Wellen mit sich trug. Der seither täglich den Horizont absuchte, ob sich nicht endlich ein Segel und somit Rettung zeigte.
    Ben blickte zu der kleinen zerkratzten Flasche, die neben Yanko im Sand steckte, und dann wieder auf
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