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Das Verlies der Stuerme

Das Verlies der Stuerme

Titel: Das Verlies der Stuerme
Autoren: Boris Koch
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sie kurz darauf auf. Ben schnappte nach Luft und schluckte just das Wasser einer heranrollenden Welle. Fluchend spuckte er aus und sog dann endlich herrlich frische Luft ein. Langsam zogen sie sich auf das untere Felssims.
    »Danke«, sagte Ben kraftlos und atmete tief durch, wieder und wieder. Er zitterte.
    »Keine Ursache.«
    »Was, bei Samoths verlogener Zunge, war das?« Die kalten Augen und riesigen Zähne waren noch immer in seinem Kopf, das Herz schlug laut.

    »Ein Münzmolch.«
    »Ein was?« Das klang so albern, Ben hätte fast gelacht. Doch ihm war nicht nach Lachen zumute.
    »Ein Münzmolch. Mein Vater hat mir davon erzählt, als ich kleiner war und immer nach Piratengeschichten gefragt habe. Ich saß auf dem Amboss und ließ die Beine baumeln, während er das Schmiedefeuer schürte. Da hat er gesagt, selbst die schlimmsten Piraten fürchten nur weniges so sehr wie den Münzmolch. Keiner weiß, woher er stammt und wo die Jungen schlüpfen, aber immer kriecht einer über den Meeresgrund herbei, wenn ein Schiff oder Boot gesunken ist. Mit den großen vorderen Pranken schleppt er gierig die Schätze in das nächste düstere Loch auf dem Grund und häuft sie auf, um darauf zu brüten. Hat er sich eingerichtet, hängt er eine einzige Münze als Lockmittel vor sein Versteck, am liebsten eine goldene. Diese befestigt er mit Hilfe eines besonderen Speichelfadens an einem Felsen oder an Korallen. Der getrocknete Faden ist unsichtbar und fest wie der eines Spinnennetzes. Also, übertragen, du musst dir eine entsprechend riesige Spinne vorstellen, der Körper groß wie ein Ochse oder gar eine Hütte. Dann leckt der Molch die Münze an, woraufhin sie von allein zu schimmern beginnt. Fortan wartet er auf neugierige Fische, die der Glanz anlockt, auf Krebse und anderes Getier, um diese zu verschlingen. Doch vor allem lauert er auf ahnungslose Schatzsucher; denn der Münzmolch ist ein Menschenfresser. Mit jeder Woche, die verstreicht, wachsen seine fürchterlichen Zähne, während die hinteren Pranken verkümmern, da er sie kaum noch braucht. Hat er einmal einen Schatz in Besitz genommen, bewegt er sich dort nicht mehr fort und wird zu einem verbiesterten, bissigen Gesellen, der seinen angehäuften
Besitz bis auf den Tod verteidigt. In jedem anderen Wesen sieht er einen neiderfüllten Dieb, vor dem er seinen Schatz verbergen muss, obwohl er es ja selbst ist, der andere mit der schimmernden Münze anlockt.
    Der Münzmolch sei ein Widerspruch in sich, hat mein Vater gesagt. Sein ständiges Misstrauen, seine Angst, jeder Fisch, Krebs und Mensch wäre ein Dieb, und die tiefe Dunkelheit seines Lochs dringen ihm unter die Schuppen, das ständige Warten macht ihn hungrig. Er liebt seinen Schatz und er hasst ihn, weil er ihn nicht fressen kann. Dabei kann der Schatz ebenso die Ladung eines gesunkenen, goldbeladenen Handelsschiffs sein wie auch drei mickrige Münzen, der steinlose Ring und die alte Angelschnur eines armen Fischers, der vom Sturm überrascht wurde und über Bord ging. Doch je größer der Schatz, desto größer der Molch.«
    Noch immer angespannt starrte Ben Yanko an. Er machte ihm keinen Vorwurf, dass er ihn nicht gewarnt hatte, obwohl er von der Existenz derartiger Kreaturen gewusst hatte. In seinem Kopf war gar kein Platz für Vorwürfe, das Bild der großen, gierigen Fratze hatte sich ihm eingebrannt, und eigentlich wollte er nie wieder dort hinunter. Doch je größer der Molch, desto größer der Schatz, hatte Yanko gesagt, und für eine ordentliche Krone musste man seine Angst überwinden und in den meisten Erzählungen auch ein schreckliches Untier. Einen Schatz musste man erringen, davon war Ben überzeugt.
    Noch einmal würde die Kreatur ihn nicht überraschen. Eilig sah er sich um und tastete auf dem Fels herum, als könne er hier eine passende Waffe in die Hand bekommen. Die Messer hatten sie dummerweise bei den Mädchen gelassen. »Dann müssen wir wieder runter. Der Bursche war riesig.«
    »Nein.« Yanko lachte nervös. »Der war eher klein. Richtiges Geschmeide finden wir da nicht, höchstens ein paar Weinkrüge aus Bronze und eine Handvoll Münzen.«
    »Bronze? Bronze ist eine Beleidigung für jeden echten Schatzjäger. Ich kann doch Anula keinen Bronzekrug schenken. Soll die sich den statt einer Krone auf den Kopf setzen, oder was? Eine Vierjährige könnte so Prinzessin spielen, aber Anula?«
    »Das geht auf keinen Fall«, stimmte ihm Yanko zu. »Nica würde mich auslachen. Da findet man ja auf
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