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Das verbotene Glück der anderen

Das verbotene Glück der anderen

Titel: Das verbotene Glück der anderen
Autoren: Manu Joseph
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irgendwohin, mittags kommt er wieder nach Hause und sitzt dann mit Unnis Cartoons und einem Vergrößerungsglas in seinem Zimmer, das er über die Comics gleiten lässt. An manchen Tagen breitet er alle Seiten von Unnis Comics und Cartoons auf dem Boden aus, steigt aufs Bett und versucht, sie aus einer nahen Vogelperspektive zu betrachten. Dann geht er wieder aus dem Haus. Wenn er abends zurückkommt, ist er wie immer betrunken, doch er bleibt nicht mehr am Tor stehen, um eine Rede zu halten. Er geht jetzt zu den Wohnungen in Block A und versucht, mit den Jungen zu sprechen, die dort wohnen. Er will alles erfahren, was sie über Unni wissen. Letzte Woche hämmerte er an Mythilis Tür und stritt mit ihrem Vater, der ihm mit der Polizei drohte. Er streift jetzt nachts durch die Stadt und weckt Unnis Freunde aus dem Schlaf. Die Leute habenangefangen, ihn zu verprügeln. Das sagt Mariamma. Manchmal kommt Ousep nachts mit Verletzungen nach Hause. Thoma und seine Mutter sitzen dann auf seinem Bett und reinigen seine Wunden, und das sind seltsamerweise die friedvollsten Momenten in Thomas Leben. Seinen Vater lebendig zu sehen, zu Hause in Sicherheit, wo er schläft wie ein Kind, während Thoma sich um ihn kümmert. Auch mit Thoma ist etwas geschehen. Er fühlt sich jetzt stärker. Nachdem er Unni verraten hat, ekeln ihn Engherzigkeit und Angst an. Er fragt sich nicht mehr, ob er dieses gigantisch lange Leben überstehen wird. Er weiß, dass er durchkommt. Er sieht deutlich, dass Normalsein nicht infrage kommt.
    Thoma hat gehört, dass sein Vater von Somen Pillai besessen ist. Nach seinen nächtlichen Streifzügen geht er zu Somens Haus und macht Ärger. Mariamma hört es von den Frauen, die dort wohnen. Somens Mutter ist persönlich zu ihr gekommen und hat geweint und um Verschonung gebeten. Thoma hört es auch von seinen Lehrern, die ihn beiseitenehmen und fragen, was los sei. Doch Thoma geht hoch erhobenen Hauptes, er ist es leid, sich zu schämen. Wenn das Leben so ist, dann soll es so sein.
    Doch Mutter hat die Nase voll. Eines Morgens sagt sie zu Ousep: «Hör auf damit, sonst bring ich dich irgendwann um.» Er sagt ganz ruhig: «Bring mir Kaffee.»
    Sie schüttet jetzt jeden Morgen Wasser über ihn. So wacht er in letzter Zeit auf. In diesem Moment geht sie zielstrebig mit einem Eimer in Vaters Zimmer. Thoma hört seinen Vater traurig aufjaulen, sieht seine Mutter zur Tür spurten und erblickt dann seinen müden, durchnässten Vater. Doch mit der Zeit ist Ousep nicht mehr überrascht, und Thoma versteht auf einmal, was seine Mutter mit dem «Gesetz vom abnehmenden Grenzertrag» gemeint hatte. Wenn Mariamma den Eimer über ihm ausleert, jault Ousep nämlich seit Neuestem nicht einmal mehr auf. Es ist, als hätte er sie als Weckdienst angestellt. Er geht rasch ins Bad undwäscht sich. Und wenn sie ihn bestraft hat, spurtet sie nicht mehr weg, sondern bleibt in der Wohnung und überlegt, wie sie ihn noch besser kontrollieren kann.
    Eines Abends nimmt sie die Schere und zerschneidet Ouseps Hemd. Sie schneidet die Ärmel ab und hängt das Hemd auf einen Kleiderbügel im Schlafzimmer, damit er es am nächsten Tag sieht. Doch Vater ist unbeeindruckt, er sagt kein Wort, obwohl er sein verstümmeltes Hemd in der Hand hält und es lange anstarrt. Wahrscheinlich überlegt er, was er jetzt machen soll. Am Ende der Woche hat sie alle seine Hemden zerschnitten. Deshalb sitzt Ousep jetzt morgens auf dem Bett und flickt seine Hemden. Sie fängt an, auch seine Hosen zu zerschneiden, aber Ousep kann jetzt nähen. In letzter Zeit sieht er aus wie ein zerlumpter Bettler.
    Als Mariamma eines Morgens gerade den Eimer Wasser über ihn schütten will, klingelt das Telefon. Ousep wacht auf und sieht seine Frau mit dem Eimer Wasser. «Kannst du damit warten, bis ich das Telefon abgenommen habe?», sagt er. Sie macht einen Schritt zurück und lässt ihn ans Telefon gehen.
    «Ja, hallo», sagt Ousep.
    Die Stimme am Ende der Leitung ist kräftig und ruhig. «Ist dort Ousep Chacko?»
    «Ja», sagt er und setzt sich auf.
    «Mein Name ist Somen Pillai. Kommen Sie heute Abend um sechs zu mir.»
    ~
    Wie am Morgen geht Ousep mit kurzen, energischen Schritten und ausgestrecktem kleinen Finger und zurückgekämmtem Haar. Endlich wirkt Ousep Chacko in der Abenddämmerung respektabel. Der längste Tag seines Lebens ist fast vorbei, und erhat ihn mit unerträglicher Warterei und erniedrigendem Hosenflicken zugebracht. Als das gedrungene Haus am Ende der
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