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Das verborgene Netz

Das verborgene Netz

Titel: Das verborgene Netz
Autoren: Oliver Bottini
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Häuser links und rechts. »Die Charité.«
    »Auf welche Krankheiten sind die spezialisiert?«
    »Auf alle.«
    Esther stieg aus. Als der gelbe Regenschirm aufsprang, rollte der Audi an ihr vorbei. Schweigend beobachteten sie, wie sie zum Haupteingang lief. Der Audi verschwand in einer Querstraße, doch Gretzkis Reptilienmann war plötzlich da und betrat das Gebäude unmittelbar hinter ihr.
    Zwei Anrufe, eine Minute fünfzig, eine Minute zehn. Zeit genug, um einen Arzttermin zu vereinbaren? Oder doch, um einen Kontakt herzustellen und einen möglichst unauffälligen Treffpunkt auszumachen?
    In Freiburg zwei Zahnarztbesuche innerhalb der vergangenen sieben Monate. Einmal Frauenarzt, einmal Internist, Influenza, sie war eine Wochen krankgeschrieben gewesen. Jetzt die Charité.
    »Ich brauche alles, was ihr kriegen könnt«, sagte Mike.
    »Dann muss ich ein paar Telefonate führen. Vielleicht jemanden treffen.«
    Gretzki bewegte sich nicht, und Mike verstand. »Ruf mich an, wenn sich was tut.«
    »Natürlich.«
    Seine Augen glitten zu dem Taxi, das nach wie vor einige Meter vor ihnen in zweiter Reihe stand. »Ihr rührt sie nicht an, haben wir uns verstanden?«
    »Ja. Ist keine Option, Mike.«
    Er stieg aus. Der Regen war stärker geworden und fühlte sich kalt an.
    Ein Flug über das ganze Land, nur um sich in einem Krankenhaus untersuchen zu lassen? Er hatte Fotokopien von Esthers Patientenakten gesehen. Keine ungeklärten Symptome, keine Notwendigkeit für weitergehende Untersuchungen. Warum also die Charité?
    Und seit wann war der Verfassungsschutz involviert?
     
    Keine Stulle auf dem Vordersitz, sondern Zeitungen und ein abgegriffenes Buch, kein Taxifahrer, sondern eine Taxifahrerin.
    Auf dem glatten, hellen Leder der Rückbank, wo Esthers Regenschirm gelegen hatte, zitterten Wassertropfen mit
den Unebenheiten der Straße, verliefen in den Kurven. In der Luft lag noch der Duft ihres Parfüms.
    Mike spürte den Blick der Fahrerin im Rückspiegel, bevor sie sprach. »Und jetzt? Haben Sie sich entschieden?« Ein Schwall aus Zischlauten, Schwäbisch, mit Inbrunst hervorgestoßen.
    »Da vorn wieder links.«
    Ein Kopfschütteln, ein Knurren, erneut ein Zischen.
    Vor der nächsten Kreuzung ließ er sie anhalten, reichte ihr zwanzig Euro. »Immer geradeaus fahren, bis Sie bei zehn Euro sind. Der Rest ist Trinkgeld.«
    Er stieg aus, ging die paar Schritte bis zur Querstraße. Die dunkelroten Gebäude, die im Regen unendlich trist wirkten, der Audi nicht zu sehen, auch Gretzkis Passat war verschwunden. Er widerstand dem Impuls, Esther und dem Reptilienmann in die Klinik zu folgen, überquerte stattdessen die Straße. Wieder fühlte er Blicke im Rücken, Augen, die sich mit ihm mitbewegten, wo immer er ging. Die er nicht loswurde, nicht einmal dann, wenn er schlief, seine Träume waren von Augen bevölkert.
     
    Ein paar Häuser weiter fand er ein Café. Selbstbedienung an der Theke, dahinter lustlose Angestellte, fahle Gesichter im Kunstlicht. Aus der Küche drangen wütende Stimmen, der Espresso roch wie zweimal aufgebrüht.
    Er setzte sich in eine Ecke gegenüber von Fensterwand und Tür und griff nach dem Handy.
    Sein Vater ging sofort dran.
    »Wir haben offiziellen Besuch aus Stuttgart und Berlin.«
    Ein Feuerzeug klickte, ein tiefer Atemzug. Schließlich sagte sein Vater: »Dann müssen wir saubermachen.«
    »Ja.«
    Sie schwiegen.
    »Kein guter Moment für Besucher«, sagte sein Vater. »Kennen sie uns?«
    »Wahrscheinlich nicht, nur unsere Freundin.«
    »Gute Bekannte?«
    »Sieht nicht so aus.«
    »Sicher?«
    »Nein, sicher bin ich nicht.«
    Zwei junge Frauen betraten das Café, aus Umhängetaschen ragten Spiralblöcke – Studentinnen. Er kannte Geschichten von Studenten, die in Universitätsfluren von einem der Dienste angeworben worden waren. Doch diese beiden wirkten harmlos, das Gekichere klang echt.
    »Wann kommst du nach Hause?«, fragte sein Vater.
    Nach Hause, dachte er. Frankfurt also, nicht Freiburg. »Morgen Nachmittag.«
    »Gut. Wir müssen neu disponieren.«
    Die Studentinnen gingen mit Pappbechern. Der Streit in der Küche schien sich gelegt zu haben. Aus den Lautsprechern drang plötzlich Popmusik.
    »Und unser Berliner Freund?«
    »Wie immer eine große Hilfe.«
    »Ja«, sagte sein Vater, »man kann sich auf ihn verlassen.«
    Er legte das Handy auf den Tisch, griff nach der Espressotasse. Das Warten begann.
     
    Drei Stunden später kam Gretzki. Das selbstgefällige Lächeln, die selbstbewussten
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