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Das verborgene Netz

Das verborgene Netz

Titel: Das verborgene Netz
Autoren: Oliver Bottini
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Maschine sie fliegen würde und welches Hotel sie gebucht hatte. Doch sie wussten noch immer nicht, weshalb sie nach Berlin gekommen war. Sie hatte Anfang Oktober zweimal von einer Telefonzelle aus gesprochen, in ihrer Mittagspause. Vielleicht wegen Berlin, vielleicht nicht.
    »Verstehe«, sagte Gretzki.
    Gegenüber sammelte ein Hotelangestellter die Flaschen und Gläser von den Tischen ein. Durch die Fenster konnte Mike in den Barraum sehen, der leer war bis auf einen Gast am Tresen. Einer von Gretzkis Männern.
    »Ist sie wichtig?«
    »Wichtig und nützlich«, erwiderte Mike.
    »Und wenn sie die Nerven verliert, fliegen wir auf?«
    »Ja.« Er lauschte dem »Wir« nach. Gretzki hatte mit der Operation nichts zu tun, half nur aus, weil Esther über das Wochenende in Berlin war. Das »Wir« war für seine Verhältnisse zu beflissen.
    »Noch jemand im Spiel?«
    Mike zögerte. »Schwer zu sagen.«
    Gretzki fragte nicht nach, wusste, was das bedeutete: Augen offen halten. Reglos saß er da, ein Teil der Dunkelheit, überlegen, unverwundbar, so kam es Mike vor. Es hatte Jahre gegeben, da wäre er gern wie Gretzki gewesen.
    »Sie hat Zimmer 34 , du die 35 .«
    »Gehen die Zimmer zur Straße oder nach hinten raus?«
    »Nach hinten raus.«
    Mike spürte, wie Gretzkis Augen über ihn glitten. Ein Gefühl, als bewegten sich Blutegel auf seiner Haut.
    »Was, wenn du ihr im Flur zufällig über den Weg läufst?«
    »Sie hat mich nie gesehen«, sagte Mike.
    Er dachte an den Funkturm und die unbestimmte Sehnsucht. Zu dieser Sehnsucht gehörte, dass er nichts mehr mit Menschen wie Gretzki zu tun haben wollte. All den Ehemaligen aus West und Ost, den Kriegern, die sein Leben bevölkerten. Teil des »Wir« waren.
    »Wanzen und Kameras sind installiert. Die Standortliste und die Geräte sind in einem Koffer unter dem Bett.«
    Mike nickte, während er versuchte, den selbstgefälligen Klang in Gretzkis Stimme zu ignorieren. Sie hatten das Zimmer hergerichtet, noch bevor Esther überhaupt im Hotel eingetroffen war.
    Keine Fehler, viel Erfahrung.
    Plötzlich verspürte er den Wunsch, Gretzki zu schlagen. Ihn in eine Gasse zu zerren und wieder und wieder zu schlagen. Als könnte er sich auf diese Weise von allem, wofür Gretzki stand, befreien.
    »Sie hat an der Rezeption ein Taxi für morgen bestellt. Neun Uhr.«
    »Weißt du, wohin?«
    »Nein.« Gretzki legte den Zimmerschlüssel auf den Tisch. »Wie lange brauchst du uns?«
    Mike nahm den Schlüssel. »Bis wir wissen, weshalb sie hier ist.«
    »Willst du eine Theorie? Ein hübscher Käfer, aber verklemmt und einsam. Kommt nach Berlin, um sich auszutoben.«
    Mike erwiderte nichts. Er zog den Aschenbecher heran, drückte den Zigarettenstummel aus.
    »Swingerklub, Lesbenparty, Schwulenbar. Oder Drogen.« Gretzkis Augen sahen ihn düster an.
    »So?«
    Gretzki tastete nach der Zigarettenschachtel, ohne ihn
aus dem Blick zu lassen. »Oder eine Internetbekanntschaft.«
    »Wir werden sehen.«
    »Das ist Berlin«, sagte Gretzki.
    Mike wandte sich ab und versuchte, die plötzliche Wut zu kontrollieren. Vielleicht, dachte er, sollte er es tatsächlich tun – Gretzki schlagen. Auf diese Weise alles beenden, noch heute Abend.
    Die Wut ebbte ab, als er wieder den Grunewald vor sich sah, den Funkturm mit seinem freundlichen Licht.
    Das, dachte er, war Berlin.
     
    Ein kleines Zimmer mit Holztäfelung, Vorhänge, die nach Zigarettenrauch stanken, auf dem schmutzigen Teppich vor der Badtür ein riesiger Wasserfleck. Als er sich auf das Bett setzte, sank er tief in die Matratze. Zimmer mit oder ohne Raufasertapete, heruntergekommen oder luxuriös, mit festen oder weichen Matratzen, stinkend oder duftend, immer fremd, immer an ein anderes, ähnliches Zimmer angrenzend, in dem sich jemand aufhielt, der nicht ahnte, dass er überwacht wurde.
    In den ersten Jahren hatte er dieses Leben genossen. Fremd und unsichtbar zu sein, und doch geschah nichts, ohne dass er es mitbekam. Er hatte die
Macht
genossen.
    Die Bettfedern quietschten, als er sich nach unten beugte und Gretzkis Aluminiumkoffer hervorzog.
     
    Eine Kamera im Baldachin der Deckenleuchte, eine in einem Gemälderahmen an der Wand zu seinem Zimmer, eine im Bad im Lüftungsschacht über der Tür. Je eine Wanze im Telefon, unter der Schreibtischplatte, auf der Rückseite der Badheizung. Kein toter Winkel, und selbst
ein Flüstern würde zu hören sein – ein perfekt präpariertes Zimmer. Nicht zum ersten Mal dachte Mike, dass sein Vater zu Recht
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