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Das verborgene Kind

Das verborgene Kind

Titel: Das verborgene Kind
Autoren: Marcia Willett
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geschwiegen.
    Aber David lebte, er lebte in diesem Moment. Der Schock darüber drang Matt ins Herz. Dieses Foto, das er vor einigen Wochen mit der Post bekommen hatte, war der jüngste Beleg dafür, dass David ein starker, glücklicher junger Mann war. Matt wusste noch, dass er sich gefragt hatte, ob es bei einer seiner Lesereisen im Ausland entstanden war. Er erinnerte sich an das fröhliche Gesicht, das über die Schulter hinweg in die Kamera lachte. David lebte.
    Und dann dieser andere Name: »Tadji«. Er wiederholte ihn laut, und sofort regten sich Erinnerungen und rückten an ihren Platz: ein lächelndes Gesicht, das sich zu ihm herabbeugte; kleine, starke Hände, die ihn hochhoben; eine hübsche Singstimme. Und nun sah er die Vision aus seinem Albtraum: David, der von denselben kleinen, starken Händen aus der anderen Seite des Kinderwagens hochgehoben und davongetragen wurde, während er, Matt, allein zurückblieb, angeschnallt im Kinderwagen, und heulte, bis Menschen gerannt kamen. Dann Schreien und Rufen und der Schmerz, als sie entdeckten, dass David verschwunden war.
    Der kleine Kater sprang auf Matts Knie, stupste mit dem Kopf gegen seine Hand und schmiegte sich in Matts Armbeuge. Er blinzelte in den grellen Sonnenschein, und Matt streichelte ihn zerstreut und bezog doch Trost aus der Wärme und Gesellschaft des Tiers. Was jetzt? Er musste allen von seiner Entdeckung erzählen: Im, Lottie, Milo. Aber nicht sofort. Er brauchte Zeit, um den Schock zu verarbeiten und mit dieser neuen Information ins Reine zu kommen.
    Er strich den Brief glatt, las ihn noch einmal und legte ihn dann zusammen. Seine Mutter hatte ihn dort hineingetan, damit er ihn fand. Sie hatte ihm die Schatulle hinterlassen und gehofft, er werde zunächst das Päckchen mit den Fotos finden, weil sie neu für ihn waren, und dann der Sache nachgehen und die Wahrheit herausfinden. Er legte den Brief zurück in das Kästchen mit den Fotos und nahm den Brief seines Vaters heraus. Er war kurz, und er konnte sich fast Wort für Wort daran erinnern. Ein Brief von einem Vater, der weit fort ist und seinen Sohn bittet, ein braver Junge zu sein und sich um seine Mutter und seine kleine Schwester zu kümmern. Diese Bitte hatte Matt stolz und stark gemacht. Jetzt zog er den Brief hervor, zusammen mit dem vertrauten Foto seines Vaters, das ihn mit einer Kamera in der Hand in einer trockenen, staubigen Wüstenlandschaft zeigte.
    Doch Matt stand ein zweiter Schock bevor, bei dem ihm fast das Herz stehen blieb: Nun lag ein zweites Foto bei dem Schreiben, ein Foto, von dem sein Vater ihm entgegenlächelte. Er trug auf jedem Arm ein Kind, Zwillingsbrüder, die aufmerksam in die Kamera sahen. Neben ihnen stand Helen und wandte das Gesicht liebevoll ihren Söhnen und ihrem Ehemann Tom zu. Matt starrte es an. Das musste die einzige Aufnahme sein, die sie alle zusammen zeigte. Die anderen hatte ihre Mutter wahrscheinlich vor der Rückkehr nach England vernichtet, damit niemand Fragen stellte oder neugierig wurde. Doch dieses eine Bild hatte seine Mutter voller Hoffnung, Glaube und Liebe ihr ganzes Leben lang aufbewahrt und es am Ende an ihn weitergegeben.
    Matt hielt das Foto fest und starrte in den sonnenüberfluteten Garten. Und endlich trauerte er unter Tränen schmerzhaft um seine Mutter, um seinen Vater und um sich selbst.

37. Kapitel
    S ie saßen um den Tisch im Esszimmer – Matt, Lottie und Milo. Die Fotos lagen verstreut zwischen ihnen, und nebeneinander die beiden Briefe. Venetia war eben von einer Freundin abgeholt worden, die sie zum Mittagessen ausführen wollte. Die drei betrachteten die Fotos und die Briefe. Matts außergewöhnliche Geschichte und der Schock, mit dem Lottie und Milo darauf reagiert hatten, schienen in der Stille nachzuhallen.
    Schließlich brach Milo das Schweigen. »Diese Tadji war also euer Kindermädchen?«
    »Soweit ich mich überhaupt erinnern kann, glaube ich das. Als ich den Namen gelesen habe, blitzte sofort eine Erinnerung auf. Versteht ihr, das ist das Problem. Ich sehe nur kurze Erinnerungsfetzen. Alles ist so fragmentarisch.«
    »Na ja, das kann auch kaum anders sein. Du bist sicher noch nicht mal zwei gewesen. Und das Kindermädchen war in der besten Position, um David zu entführen, oder?«
    Matt fand es immer noch eigenartig, wenn jemand so ganz selbstverständlich Davids Namen aussprach, aber Milo hatte Matts Geschichte mit einem verblüffenden Scharfsinn erfasst und zog eigene Schlussfolgerungen.
    »Die Entführung
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