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Das Vamperl

Das Vamperl

Titel: Das Vamperl
Autoren: Renate Welsh
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nicht verstehen konnte. Trotzdem redete sie mit ihm.
    Wer weiß, dachte sie, vielleicht lernt er es mit der Zeit. Menschenkinder verstehen ja am Anfang auch kein Wort und freuen
     sich trotzdem, wenn man mit ihnen spricht.
    Sie zerschnitt ein altes Taschentuch zu winzigen Windeln für den kleinen Vampir. Sie gab ihm die Flasche.
    Als er wieder in seinem himmelblauen Wattebett lag und schlief, wollte sie endlich ihren Kaffee trinken.
    Der Kaffee war kalt.
    Das störte sie nicht weiter. Kalter Kaffee macht angeblich schön. Aber es störte sie, dass die Milch eine Haut hatte. Sie
     hasste Haut auf der Milch.
    »Weil sich diese beiden auch immer in anderer Leute Angelegenheit einmischen«, schimpfte sie.
    Sie fischte die Haut aus dem Milchtopf. »Pfui Teufel!«, sagte sie. Dabei schüttelte sie den letzten Rest schlechten Gewissens
     darüber ab, dass sie gelogen hatte.
    Haut auf der Milch! Das ging zu weit.

Vom Fliegenlernen und anderen Künsten
    Der Vampir wuchs schnell.
    Nach einer Woche war die Schmuckschachtel zu klein für ihn.
    Nach zwei Wochen war die Knopfschachtel zu klein für ihn.
    Frau Lizzi strickte eine bunte Decke aus Wollresten und richtete ihm ein Bett im Nähkorb ein.
    Er hielt jetzt selbst seine Flasche beim Trinken.
    Er benutzte die Kiste mit Sägespänen, die Frau Lizzi für ihn ins Klo gestellt hatte.
    Er legte den Kopf schief, wenn sie mit ihm redete. Er hörte zu. Manchmal fiepte er leise und das klang wie eine Antwort.
    Frau Lizzi ließ jetzt immer das Radio laufen.
    »Sicher ist sicher«, sagte sie. »Wenn die Nachbarn am Ende doch etwas hören, kann ich immer sagen: Es war das Radio.«
    Beim Einkaufen beeilte sie sich. Sie hatte Angst, der Vampir könnte etwas anstellen.
    Die Milchfrau, der Gemüsemann, der Metzger und der Zeitungsverkäufer wunderten sich, dass Frau Lizzi nie mehr Zeit zum Plaudern
     hatte.
     
    Der kleine Vampir saß gern auf dem Fensterbrett und guckte hinaus auf die Straße.
    Er kletterte an den Vorhängen hoch und schaukelte an der Vorhangschnur.
    Er saß auf Frau Lizzis Schulter, wenn sie kochte.
    Manchmal fiepte er ihr ins Ohr. Das kitzelte.
    Einmal kitzelte es so sehr, dass sie den Kochlöffel in die Tomatensuppe fallen ließ. Danach waren Frau Lizzi und derkleine Vampir über und über voll mit roten Tupfen. Es sah aus, als hätten sie Masern. Oder Scharlach.

    In der dritten Woche machte der Vampir seine ersten Flugversuche. Er kletterte auf den Küchenstuhl.
    Er breitete die großen, dünnen Flügel aus. Das knisterte wie Seidenpapier.
    Er flappte ein paar Mal mit den Flügeln. Dann sprang er los.
    Im Fallen vergaß er mit den Flügeln zu schlagen und landete auf dem Bauch.
    Er fiepte kläglich.
    Frau Lizzi kam aus dem Zimmer gelaufen. Sie hob ihn auf. Sie streichelte und tröstete ihn.
    Sie tastete seine Arme und Beine ab.
    »Gebrochen ist nichts«, sagte sie erleichtert. Sie kochte ihm zur Beruhigung einen Kamillentee.
    Der Vampir mochte keinen Kamillentee. Er blies ihn aus seiner spitzen Schnauze. Frau Lizzis Brillengläser wurden angesprüht
     und hätten Scheibenwischer gebraucht.
    »Marsch ins Bett!«, schimpfte sie. Sie trug ihn ins Zimmer und ging in die Küche zurück, wo inzwischen die Milch übergekocht
     war. Fünf Minuten später machte er seinen zweiten Flugversuch. Diesmal startete er vom Fensterbrett. Und diesmal ging es viel
     besser.
    Als Frau Lizzi wieder hereinkam, flog er ihr auf den Kopf. Sie erschrak furchtbar und schrie auf. Der kleine Vampir zauste
     ihr zärtlich die Haare.
    An einem Sonntagmorgen hörte FrauLizzi Geschrei im Treppenhaus. »Um Himmels willen, was ist denn da passiert?«, fragte sie und riss die Wohnungstür auf.
    Im dritten Stock schimpfte Frau Müller mit ihrem Sohn Hannes.
    Er war bei seiner Großmutter gewesen und hatte von ihr einen Korb Äpfel geholt. Auf dem Heimweg war er am Spielplatz vorbeigekommen.
     Dort spielten seine Freunde Fußball.
    »Hannes!«, riefen sie. »Die führen schon drei zu eins! Komm!«
    Hannes stellte den Korb hin und spielte mit. Dass er seine Sonntagshose anhatte, fiel ihm überhaupt nicht ein.
    Jetzt war ein Loch in der Hose und ein großer Grasfleck.
    »Da komm her!«, schrie Frau Müller. »Und hol dir deine Ohrfeigen! Die hast du redlich verdient. Wie oft habe ich dir schon
     gesagt, dass du auf deine Sachen aufpassen sollst? Du glaubst wohl, dass das Geld auf den Bäumen wächst?Gleich wirst du sehen, was auf den Bäumen wächst!«
    Hannes fing an zu weinen. Der Korb fiel um. Äpfel
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