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Das Vamperl

Das Vamperl

Titel: Das Vamperl
Autoren: Renate Welsh
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kollerten laut polternd über die Treppe.
    »Dir werde ich noch Grund zum Heulen geben! Herkommen, habe ich gesagt!« Frau Müller holte aus.

    Frau Lizzi wollte sie daran erinnern, dass Kinder an andere Dinge denken als Erwachsene. Und dass Hannes nichts Böses im Sinn
     gehabt hatte.
    Aber als sie den Mund aufmachte, huschte der Vampir an ihr vorbei. Jetzt ging alles blitzschnell.
    Der Vampir turnte am Treppengeländer entlang hinauf in den dritten Stock. Er flatterte hinter Hannes vorbei. Er flog direkt
     auf Frau Müller zu, auf ihren Bauch.
    Frau Lizzi wurde schlecht vor Angst.
    Sie schloss die Augen.
    Sie wollte nicht sehen, was jetzt kommen musste.
    »Au! Da hat mich etwas gestochen!«, rief Frau Müller. »Gibt es denn Wespen bei uns im Haus?«
    Frau Lizzi blinzelte.
    Sie sah, dass der Vampir flügelschlagend vor Frau Müllers Bauch in der Luft stand. Vor ihrer Galle.
    Wo die Galle war, wusste Frau Lizziganz genau. Sie war vor einem Jahr an der Gallenblase operiert worden.
    Jetzt zog der Vampir seine spitze Schnauze aus Frau Müllers Galle. Frau Müllers Arm fiel herab.
    Der Vampir machte eine Kehrtwendung. Er flatterte zurück in Frau Lizzis Wohnung.
    Frau Müller fuhr Hannes durch die Haare. »Weißt du, wie du aussiehst? Wie der Tormann nach einem Länderspiel im Regen!«
    Hannes starrte seine Mutter mit offenem Mund an.
    Sie lächelte. »Wer hat eigentlich gewonnen?«
    »Ge-wie, ge-wo, ge-was?«
    »Gewonnen, beim Fußball natürlich«, sagte seine Mutter. »Wo sonst? Was ist denn los mit dir, bist du krank?«
    Hannes machte langsam den Mund zu. Er schüttelte sich die Haare aus der Stirn.
    »Wir haben gewonnen!«, sagte er. »Unddas letzte Tor habe ich geschossen. Im Alleingang!«
    Hannes streckte die Brust heraus, steckte beide Daumen in die Hosenträger und ließ sie schnalzen.
    Frau Müller legte ihm den Arm um die Schulter. Die beiden gingen in die Wohnung zurück. Die Müllertür fiel zu.
    Auch Frau Lizzi ging in ihre Wohnung zurück. Sie merkte erst jetzt so richtig, wie sehr ihr die Knie zitterten. Sie musste
     sich setzen. Der kleine Vampir flatterte auf ihren Schoß.
    »Du bist ja gar kein Vampir«, sagte sie. »Ein Vampir saugt den Menschen das Blut aus. Aber du, du saugst ihnen ja das Bössein
     aus! Weißt du, was du bist? Ein Vamperl bist du, ein liebes.«
    Er hüpfte auf ihrem Knie auf und ab.
    »Aber der Schreck, den du mir eingejagt hast!«, sagte sie. »Ich habe geglaubt, das Herz bleibt mir stehen vor Angst.«
    Der kleine Vampir schmiegte sich an sie. »Ich möchte nur wissen, wie das geht«, murmelte sie.
    Vamperl strich sich mit beiden Händen über den kleinen, dicken Bauch und schmatzte. »Ja, natürlich! Du hast ihr das Gift aus
     der Galle gesaugt und da hat sie plötzlich verstanden, dass es nicht halb so schlimm war. Stimmt’s?«
    Vamperl nickte eifrig. Er schlug ein paar Purzelbäume.
    Frau Lizzi erinnerte sich, wie verdutzt Hannes dreingeschaut hatte. »Der hat einfach nicht glauben können, dass seine Mutter
     plötzlich so freundlich war!« Sie lachte.
    Dann wurde sie ernst. »Aber was wäre, wenn sie dich gesehen hätte? Du musst aufpassen, mein Kleiner. Du musst sehr aufpassen.
     Weißt du, Vamperl, wenn die Leute Angst bekommen, dann wissen sie nicht mehr, was sie tun.«
    Vamperl rieb seine kleine spitze Vampirnasean ihrer großen runden Menschennase.

    »Wenn ich so denke«, sagte Frau Lizzi. »Wenn ich so denke, wie vielen Leuten man das Gift aus der Galle saugen müsste...«
    Vamperl fiepte ihr zustimmend und glücklich ins Ohr. An diesem Abend sang Frau Lizzi ihrem Vamperl ein Lied vor:

    »Ja – so ein Vampir
    ist kein böses Tier!
    Muss es nicht sein,
    wenn er von klein
    auf Liebe spürt.
     
    Mein Vamperl trinkt nur Milch und mag kein Blut
    und macht die bösen Leute alle wieder gut.
    Wenn einer tobt und schreit, was er kann,
    dann flitzt mein Vamperl lautlos heran,
    saugt ihm ein bisschen Gift aus der Gall’–
    erledigt der Fall!
    Mein Vamperl trinkt nur Milch und mag kein Blut
    und macht die bösen Leute alle wieder gut.«

Vamperl unterwegs

    Zwei Tage später musste Frau Lizzi wieder einmal einkaufen gehen. Sie schleppte schwer an der großen Tasche, in der Nahrungsmittel
     für eine ganze Woche waren.
    Auf der niedrigen Mauer vor dem Park stellte sie die Tasche ab um kurz zu verschnaufen.
    Im Park standen acht Kinder im Kreis um einen Jungen. Frau Lizzi kannte ihn. Er wohnte bei seiner Großmutter. Er war der schlechteste
     Schüler der Klasse und ging
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