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Das Vamperl

Das Vamperl

Titel: Das Vamperl
Autoren: Renate Welsh
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Lizzi setzte ihren schönsten Hutauf. Sie hatte diesen vor zehn oder zwölf Jahren gekauft, als ihre Nichte heiratete. Vielleicht, dachte sie, bringt ein Hochzeitshut
     Glück. Glück können wir brauchen.
    Vor allem aber konnte Vamperl darunter sitzen und durch das Strohgeflecht alles beobachten.
    »Tanz nicht so herum, du zerzaust mir die Haare«, sagte Frau Lizzi.
    Vamperl bemühte sich ruhig zu sitzen.

    Frau Lizzi trat aus dem Haus. Ein Sonnenstrahl fiel ihr ins Gesicht und blendete sie.
    Plötzlich ertönte wütendes Hundegebell, hohes, zorniges Kläffen und tiefes, wütendes Knurren.
    Schon wieder der Flocki und der Bello!, dachte Frau Lizzi.
    Da stand sie schon vor den gekreuzten Hundeleinen.
    Am Ende der einen Leine hing Frau Maringer.
    Am Ende der anderen Leine hing Frau Anna.
    »Ihre Bestie hat nach meinem Flocki geschnappt!«, zischte Frau Anna.
    »Ihr Köter hat meinen Bello angegriffen!«, japste Frau Maringer.
    Frau Anna wurde rot. »Köter? Mein Flocki ist kein Köter! Sehen Sie doch, wie Ihr Hundevieh geifert! Der ist sicher tollwütig.
     Das gehört doch angezeigt.«
    Frau Maringer wurde blass. »Tollwütig?Wir werden sehen, wer da wen anzeigt! Sie   – Sie Person, Sie! Bello, Belloleinchen, komm zu deinem Frauchen!«
    Belloleinchen dachte nicht daran, zu seinem Frauchen zu kommen. Die Hunde liefen im Kreis. Die beiden Frauen wurden immer
     enger mit den Leinen umwickelt.
    »Ihr Bello hat meinen Flocki gebissen!«
    »Ihr Flocki hat meine Strümpfe zerrissen!«
    »Ihr Bello beschmutzt unser Treppenhaus!«
    »Ihr Flocki sieht ganz räudig aus!«
    »Räudig sind Sie, Sie schlechte Person!«
    »Ich verbitte mir diesen Ton!«
    Plötzlich gelang es Flocki, sich loszureißen. Gleich darauf riss sich Bello los. Frau Anna und Frau Maringer schrien auf.
    Flocki fletschte die Zähne.
    Bellos Lefzen trieften.
    Ringsum hatte sich eine Menschenmenge angesammelt.
    »Gleich raufen die... Damen«, sagte ein kleiner Junge und rieb sich die Hände.
    Frau Lizzi spürte einen Luftzug auf dem Kopf.
    In dem Gedränge sah sie nicht, wie Vamperl zustach.
    Sie hörte die Frau Maringer sagen: »Liebe Frau Anna, hätten Sie eventuell Zeit, eine Tasse Kaffee mit mir zu trinken?« Ihr
     Gesicht war noch in zornige Falten gelegt, aber ihre Stimme klang ganz süß.
    »O danke, gern«, sagte Frau Anna. »Ich wollte Sie ohnehin um das Rezept für Ihren Eierlikör bitten, liebe Frau Maringer.«Die beiden zogen Arm in Arm ab. Bello und Flocki trugen ihre Leinen im Maul und liefen vor ihnen her.

    Die Menschenmenge löste sich auf.
    »Schade«, sagte der kleine Junge.
    Frau Lizzi spürte, wie sich Vamperl in ihrem Haarknoten bequem ausstreckte. Ein Herr trat ihr in den Weg.
    »Verzeihung«, sagte er, »darf ich eine Frage an Sie richten? Doktor Obermeier mein Name. Vorstand des Städtischen Krankenhauses
     und Professor an der hiesigen Universität.«
    »Ja, bitte?«
    »Haben Sie eben dieses Insekt gesehen? Knapp bevor die beiden Damen gänzlich unerwartet ihren Streit bereinigten, meinte ich
     eine Art Insekt zu sehen.«
    Frau Lizzi vergaß jede Vorsicht. »Ein Insekt!«, rief sie. »Also wirklich! Hast du das gehört? Ein Insekt schimpft er dich.
     Und so etwas nennt sich Professor.«

    »Mit wem sprachen Sie eben?«, fragte Professor Obermeier.
    Frau Lizzi schlug sich mit der Hand auf den Mund.
    Ihre Knie zitterten.
    Professor Obermeier beobachtete sie scharf. »Warum haben Sie denn Angst vor mir?«, fragte er freundlich.
    »Das ist es nicht«, sagte sie.
    Professor Obermeier lächelte. »Sie können sich mir unbesorgt anvertrauen. Was Sie mir auch sagen, es bleibt ganz unter uns.«
    Plötzlich spürte Frau Lizzi, dass ihr Geheimnis sie schon lange drückte. Dass sie einem Menschen sagen wollte, was ihr Vamperl
     alles geleistet hatte.
    Sie hob den Hut ein wenig. »Bitte, sehen Sie selbst!«
    Professor Obermeier guckte. Er trat einen Schritt zurück.
    »Das ist ja... das ist ja ein Vampir!«, rief er.
    »Geborener Vampir«, verbesserte FrauLizzi. »Jetzt ist er mein Vamperl. Mit Vampiren hat er nichts zu tun, aber auch gar nichts. Außerdem gibt es Vampire nur in
     Geschichten. Meinen Vamperl gibt es wirklich. Also kann er gar kein Vampir sein. Stimmt’s?«
    Diese Frage konnte Professor Obermeier nicht beantworten.
    Er führte Frau Lizzi zu einer Parkbank. Sie setzten sich.
    Dann fragte er: »Und wie macht er das, Ihr Vamperl?«
    Frau Lizzi sagte feierlich: »Er saugt den Leuten das Gift aus der Galle.«
    Professor Obermeier
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