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Das Vamperl

Das Vamperl

Titel: Das Vamperl
Autoren: Renate Welsh
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Klötze schlugen auf Metall.
    Vamperl bekam Angst. Das Dröhnen schüttelte ihn hin und her, obwohl er sich am Fenster festklammerte.
    Er flatterte zur nächsten Halle. Hierwar kein Maschinenlärm zu hören. Hier spielte laute Musik.
    Quer durch die Halle lief ein Band. Das Band bewegte sich. Silbrig glänzende Kasten kamen darauf angefahren.
    Neben dem Band standen Frauen. Alle trugen Tücher auf dem Kopf.
    Eine schraubte zwei Schrauben in jeden Kasten.
    Die nächste drehte einen Knopf hinein.
    Die nächste befestigte eine Feder.
    Eine Frau hatte eine rote Nase. Sie schnupfte immer wieder auf.
    Einmal griff sie nach ihrem Taschentuch, da musste sie hinter dem Band herlaufen, weil ihr ein Kasten davongefahren war.
    Ein Mann ging auf sie zu.
    »Wenn Sie so weitermachen, fliegen Sie«, sagte er. »Heute haben Sie schon sechs Schrauben übersehen!«
    »Ich habe argen Schnupfen«, sagte die Frau.
    »Ihr Schnupfen interessiert mich nicht«,sagte der Mann. »Jetzt sind wieder zwei vorbei. Holen Sie sich Ihre Papiere!«
    »Sie kündigen mir?«, fragte die Frau entsetzt.
    »Und ob ich Ihnen kündige!«, sagte der Mann.
    Vamperl flog in die Halle. Er stach zu und begann zu saugen.
    Es kam ein solcher Schwall Galle auf einmal, dass Vamperl sich verschluckte. Seine Kehle brannte. Fast hätte er losgelassen.
     Aber er sah das verzweifelte Gesicht der Frau und saugte weiter.
    Der Mann blickte sich in der Halle um, als sähe er sie zum ersten Mal.
    »Mir scheint«, sagte er, »dass wir das Fließband zu schnell eingestellt haben. Da können Sie sich ja nicht einmal die Nase
     putzen!« Er ging zu einem Schaltkasten und drehte an ein paar Knöpfen.
    Das Fließband lief langsamer. Die Frauen sahen einander verwundert an.
    »Sie gehen jetzt in die Kantine«, sagteder Mann zu der Frau mit der roten Nase, »und holen sich einen heißen Tee. Ich übernehme solange für Sie.«
    Die Frau rührte sich nicht.
    »Na, worauf warten Sie noch?«, sagte der Mann.
    Vamperl spürte einen Druck im Magen. Er hatte viel zu viel Galle getrunken. Er konnte kaum fliegen mit dem schweren, dicken
     Bauch. Fast wäre er im Fensterspalt stecken geblieben.
    Auf dem Heimweg begegnete er zwei Mädchen, die hinter einer alten Frauherspotteten. Er hätte gern eingegriffen. Aber er war wirklich zu voll.

    Es war kein Platz mehr, auch nicht für den kleinsten Schluck.
    Frau Lizzi bemerkte gleich, dass er traurig war. Sie sah seinen prallvollen Bauch. »Du hast dich übernommen, gelt?«, sagte
     sie. »Kann ich mir gut vorstellen.« Sie wärmte eine von seinen alten Windeln und legte sie ihm auf den Bauch. Dann setzte
     sie sich in den Lehnstuhl und nahm ihn auf den Schoß.
    »Wenn ich denke, wie viel Gift und Galle es auf der Welt gibt! Da kann einer saugen, bis er blau im Gesicht wird, und man
     merkt noch nicht viel davon, dass etwas fehlt. Das heißt, der Hannes merkt es natürlich sehr. Und die alte Frau von gegenüber.
     Aber zwei Häuser weiter merken sie schon fast nichts mehr. Verstehst du? Einer schafft das nicht allein.«
    Sie saßen eine Weile still da. Dann lächelte Frau Lizzi.
    »Hör zu«, sagte sie. »Mir ist etwas eingefallen.«
    Sie sang ihm ein neues Lied vor:
    »Morgens schon in aller Frühe
    wird mein Vamperl munter,
    flitzt wie ein geölter Blitz auf die Straße runter,
    weil er ständig Leute trifft
    voller Gift.
    Doch wie fleißig er auch sticht,
    das arme Vamperl schafft es nicht.
    Er ist allein und viel zu klein,
    es müssten viele Vamperln sein
    für so viel Gift.
    Ich denke mir mindestens acht oder zehn.
    Wir beide sollten sie suchen gehn.
    Wo immer sie sich auch heimlich verstecken,
    wir beide werden sie sicher entdecken!
    Zehn kleine Vamperln, wir bringen sie her,
    dann hat mein Vamperl es nicht mehr so schwer.«

Eine schwere Entscheidung
    Am nächsten Morgen zog Frau Lizzi ihre bequemen Schuhe an. Sie packte Brote ein.
    Vamperl flatterte aufgeregt fiepend in der Wohnung umher.
    Frau Lizzi dachte: Was habe ich da nur versprochen! Wo sollen wir überhaupt anfangen zu suchen? Es wäre mir fast lieber, es
     würde schütten. Dann hätte ich einen Tag Zeit zum Überlegen. Aber heute regnet es sicher nicht. Und morgen auch nicht. Ich
     spüre es in den Gelenken. Das heißt, eigentlich spüre ich nichts. Also kann es auch nicht regnen. Laut sagte sie: »Hör auf
     zu zappeln und trink deine Milch! Wir wollen doch früh losziehen.«
    Vamperl verschüttete den halben Fingerhut voll Milch. Das war schon lange nicht mehr vorgekommen.
    Frau
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