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Das Urteil

Titel: Das Urteil
Autoren: John Grisham
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sich 1959 in die Wählerliste hatte eintragen lassen, aber nicht im Wahllokal erschienen war, seit Carter Ford geschlagen hatte. Gloria Lane erklärte die beiden als nicht existierend. Links von ihr saßen in den Reihen eins bis zwölf 144 potentielle Geschworene, und rechts enthielten die Reihen dreizehn bis sechzehn die restlichen 50. Gloria beriet sich mit einem bewaffneten Deputy, und Richter Harkins schriftlicher Anweisung entsprechend wurden vierzig Zuschauer eingelassen und im hinteren Teil des Saales untergebracht.
    Die Fragebogen waren rasch ausgefüllt und wurden von den Gehilfinnen der Kanzleivorsteherin eingesammelt, und um zehn erschienen die ersten der zahlreichen Anwälte im Gerichtssaal. Sie kamen nicht durch die Haupttür, sondern von irgendwo hinter dem Richtertisch, wo zwei Türen zu einem Labyrinth aus kleinen Zimmern und Büros führten. Sie trugen ausnahmslos dunkle Anzüge und intelligent gerunzelte Stirnen, und alle versuchten das Unmögliche - die Geschworenen zu mustern und dabei gleichzeitig einen desinteressierten Eindruck zu machen. Jeder einzelne von ihnen bemühte sich erfolglos, den Anschein zu erwecken, als hätte er wichtigere Dinge im Kopf, indem sie in Akten blätterten und geflüsterte Konferenzen abhielten. Einer nach dem anderen erschien und nahm seinen Platz an einem der Tische ein. Rechts stand der Tisch der Anklage und daneben der der Verteidigung. Jeder Zentimeter Platz zwischen den Tischen und der Holzschranke, die sie von den Zuschauern trennte, war mit Stühlen ausgefüllt.
    Die Reihe Nummer siebzehn war leer, gleichfalls auf Harkins Anweisung, und in Reihe achtzehn saßen steif die Typen von der Wall Street und betrachteten die Rücken der Geschworenen. Hinter ihnen saßen ein paar Reporter, dann kam eine Reihe mit ortsansässigen Anwälten und anderen Neugierigen. In der hintersten Reihe tat Rankin Fitch, als läse er Zeitung.
    Weitere Anwälte erschienen. Dann nahmen die Jury-Berater in dem engen Raum zwischen den Anwaltstischen und der Schranke ihre Plätze ein und machten sich an die unerfreuliche Arbeit, in die fragenden Gesichter von 194 Fremden zu starren. Die Berater musterten die Geschworenen, zum einen, weil sie dafür gewaltige Honorare kassierten, und zum anderen, weil sie behaupteten, einen Menschen anhand der verräterischen Enthüllungen seiner Körpersprache gründlich analysieren zu können. Sie beobachteten und warteten begierig darauf, daß Arme vor der Brust verschränkt wurden, daß Finger nervös an Zähne wanderten, daß sich Köpfe verdächtig zur Seite neigten, auf hundert weitere Gesten, die angeblich einen Menschen entblößten und die allergeheimsten Vorurteile erkennen ließen.
    Sie machten sich Notizen und musterten stumm die Gesichter. Geschworener Nummer sechsundfünfzig, Nicholas Easter, erhielt mehr als seinen Anteil an eindringlichen Blicken. Er saß in der Mitte der fünften Reihe, angetan mit einer khakifarbenen Hose und einem Hemd mit angeknöpftem Kragen, ein gutaussehender junger Mann. Er schaute gelegentlich auf, aber seine Aufmerksamkeit war auf ein Taschenbuch gerichtet, das er mitgebracht hatte. Niemand sonst hatte daran gedacht, ein Buch einzustecken.
    Weitere Stühle nahe der Schranke wurden besetzt. Die Verteidigung hatte nicht weniger als sechs Jury-Sachverständige zum Studieren von Gesichtszuckungen und Hämorrhoidalkrämpfen aufgeboten. Die Anklage benutzte nur vier.
    Nur wenigen der potentiellen Geschworenen gefiel es, auf diese Weise abgeschätzt zu werden, und fünfzehn peinliche Minuten lang reagierten sie mit finsteren Mienen auf das Angestarrtwerden. Dann erzählte ein Anwalt in der Nähe des Richtertisches einen Witz, und das Lachen löste die Anspannung ein wenig. Die Anwälte plauderten und flüsterten, aber die Geschworenen hatten Angst, etwas zu sagen.
    Der letzte Anwalt, der den Saal betrat, war natürlich Wendall Rohr, und wie gewöhnlich konnte man ihn hören, bevor man ihn sah. Da er keinen dunklen Anzug besaß, trug er die von ihm an Eröffnungstagen bevorzugte Kleidung - ein graukariertes Sportjackett, eine nicht dazu passende graue Hose, eine weiße Weste, ein blaues Hemd und eine rotgelbe Paisley-Fliege. Vor dem Tisch der Verteidigung angelangt, fuhr er einen Anwaltsgehilfen an, wobei er die dort sitzenden Anwälte ignorierte, als hätten sie gerade irgendwo im Hintergrund ein hitziges Scharmützel beendet. Er sagte laut etwas zu einem anderen Anwalt der Anklage, und sobald er die Aufmerksamkeit des
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