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Das Urteil

Titel: Das Urteil
Autoren: John Grisham
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und schwor sich, es nie wieder zu verlieren. Er baute seine Kanzlei aus, richtete eine großartige Suite von Büroräumen ein und fand sogar eine junge Frau. Frei von Alkohol und Tabletten richtete Rohr seine beträchtlichen Energien darauf, amerikanische Firmen im Namen Geschädigter zu verklagen. Bei seinem zweiten Anlauf stieg er in den Kreisen der Prozeßanwälte sogar noch schneller auf. Er ließ sich einen Bart stehen, ölte sein Haar, wurde zum Radikalen und war auf Vortragsreisen beliebt.
    Rohr lernte Celeste Wood, die Witwe von Jacob Wood, durch einen jungen Anwalt kennen, der kurz vor dessen Tod Woods Testament aufgesetzt hatte. Jacob Wood war im Alter von einundfünfzig Jahren gestorben, nachdem er fast dreißig Jahre lang drei Schachteln pro Tag geraucht hatte. Zum Zeitpunkt seines Todes war er leitender Angestellter in einer Bootswerft gewesen und verdiente vierzigtausend im Jahr.
    In den Händen eines weniger ehrgeizigen Anwalts schien der Fall nicht mehr zu sein als ein toter Raucher, einer unter zahllosen anderen. Rohr dagegen hatte sich seinen Weg in einen Bekanntenkreis mit den grandiosesten Träumen gebahnt, die Prozeßanwälte je gehegt hatten. Alle waren Spezialisten für Produkthaftung, alle hatten Millionen kassiert mit Brustimplantaten und Asbest. Jetzt trafen sie sich mehrmals im Jahr und überlegten, wie man die Hauptader des amerikanischen Haftungsrechts ausbeuten konnte. Kein legal hergestelltes Produkt in der Weltgeschichte hatte so viele Menschen getötet wie die Zigarette. Und die Taschen ihrer Hersteller waren so tief, daß das Geld darin verschimmelte.
    Rohr hatte die erste Million bereitgestellt, und sieben andere schlossen sich an. Völlig mühelos gewann die Gruppe die Unterstützung der Tobacco Task Force , der Coalition for a Smoke Free World und des Tobacco Liability Fund sowie einer Handvoll weiterer Verbrauchergruppen und Industrie-Wachhunden. Ein Rat von Prozeßanwälten wurde gebildet, wie nicht anders zu erwarten mit Wendall Rohr als Vorsitzendem und designiertem Hauptakteur im Gerichtssaal. Mit so viel Aufsehen, wie sie nur erregen konnte, hatte Rohrs Gruppe vier Jahre zuvor beim Bezirksgericht von Harrison County, Mississippi, Klage erhoben.
    Fitchs Recherchen zufolge war die Sache Wood gegen Pynex die fünfundfünfzigste ihrer Art. Sechsunddreißig waren aus den verschiedensten Gründen abgewiesen worden. Sechzehn waren vor Gericht gegangen und hatten mit Urteilen zugunsten der Tabakkonzerne geendet. Zwei waren ergebnislos abgebrochen worden. Bei keinem war es zu einem Vergleich gekommen. Nie war einem Kläger in einem Zigarettenfall auch nur ein Penny gezahlt worden.
    Rohrs Theorie zufolge hatte hinter keiner der anderen vierundfünfzig Klagen eine so formidable Gruppe von Anwälten gestanden. Noch nie war eine Klägerin von Anwälten vertreten worden, die über genügend Geld verfügten, um das Spielfeld zu ebnen.
    Fitch hätte das eingeräumt.
    Rohrs langfristige Strategie war simpel und brillant. Da draußen gab es hundert Millionen Raucher, nicht alle mit Lungenkrebs, aber doch bestimmt eine ausreichende Zahl, um ihn beschäftigt zu halten, bis er sich zur Ruhe setzte. Wenn er den ersten gewann, brauchte er sich nur noch zurückzulehnen und auf den großen Ansturm zu warten. Jeder Feld-Wald-und-Wiesen-Anwalt mit einer trauernden Witwe würde mit einem Fall von Lungenkrebs anrufen. Rohr und seine Gruppe konnten in aller Ruhe ihre Wahl treffen.
    Er operierte von einer Bürosuite aus, die die oberen drei Stockwerke eines alten Bankgebäudes nicht weit vom Gericht einnahm. Am späten Freitagabend öffnete er die Tür zu einem dunklen Zimmer und stellte sich an die hintere Wand, während Jonathan Kotlack aus San Diego den Projektor bediente. Kotlack war für die Recherchen und die Auswahl der Geschworenen zuständig, obwohl Rohr den größten Teil der Befragung vornehmen würde. Der lange Tisch in der Mitte des Zimmers war übersät mit Kaffeebechern und zusammengeknülltem Papier. Die Leute am Tisch betrachteten mit erschöpften Augen ein weiteres Gesicht, das auf der Leinwand erschien.
    Nelle Robert (Rohbair ausgesprochen), sechsundvierzig, geschieden, einmal vergewaltigt, arbeitete als Bankkassiererin, rauchte nicht, war sehr übergewichtig und deshalb Rohrs Philosophie der Geschworenen-Auswahl zufolge disqualifiziert. Dicke Frauen kamen nicht in Frage. Ihm war egal, was die Experten ihm sagen würden. Ihm war egal, was Kotlack dachte. Rohr nahm nie dicke Frauen.
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