Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Unsterblichkeitsprogramm

Das Unsterblichkeitsprogramm

Titel: Das Unsterblichkeitsprogramm
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
einen akzentlosen, eiskalten Tonfall zurückzwang, »haben genug Ärger gemacht – mehr als andere Leute in ihrem ganzen Leben.«
    Sie packte mich am Kragen und zog mich an der schrägen Fensterfront hinauf, bis wir auf gleicher Augenhöhe waren. Mein Kopf kippte seitlich auf dem Glas weg, und sie beugte sich über mich. Sie riss sich weiter zusammen, bis sie fast im Plauderton sprach.
    »Wie die Katholiken, wie Ihre Freunde auf Innenin, wie die sinnlosen Slumexistenzen, deren armseligen Kopulationen Sie Ihr Leben verdanken, Takeshi. Menschliches Rohmaterial – mehr sind Sie nie gewesen. Sie hätten sich weiterentwickeln und sich mir auf New Beijing anschließen können, aber Sie haben mir ins Gesicht gespuckt und sind in Ihre erbärmliche Existenz zurückgekehrt. Sie hatten eine zweite Gelegenheit, sich uns anzuschließen, hier auf der Erde, und diesmal hätten Sie sich an der Führung der gesamten Menschheit beteiligen können. Sie hätten wahre Macht erringen können, Kovacs. Verstehen Sie das? Sie hätten ein bedeutsames Leben fuhren können.«
    »Ich glaube kaum«, murmelte ich schwach und glitt langsam am Fenster hinunter. »Irgendwo hier drinnen liegt noch ein Gewissen herum. Ich habe nur vergessen, wo ich es hingetan habe.«
    Kawahara zog eine Grimasse und verstärkte den Griff, mit dem sie mich am Kragen festhielt. »Sehr gewitzt. Geradezu geistreich. So etwas können Sie dort, wo Sie jetzt hingehen, gut gebrauchen.«
    » Wenn sie fragen, wie ich gestorben bin«, erwiderte ich, »sagt ihnen: Immer noch voller Wut.«
    »Quell.« Kawahara beugte sich näher heran. Jetzt lag sie fast auf mir, wie eine befriedigte Geliebte. »Aber Quell hat sich nie einem virtuellen Verhör unterziehen müssen, nicht wahr? Sie werden nicht voller Wut sterben, Kovacs. Sie werden um Gnade winselnd sterben. Immer… wieder.«
    Sie drückte mich fester gegen das Glas und hob die Zange.
    »Genießen Sie diesen kleinen Aperitif.«
    Die Zange stieß unter mein Auge, und Blut spritzte auf Kawaharas Gesicht. Ein kurzer Schmerz flackerte auf. Einen Moment lang konnte ich die Zange mit dem Auge sehen, in dem sie steckte, wie ein riesiger Mast aus Stahl aufragend. Dann drehte Kawahara das Werkzeug, und etwas platzte. Mein Sichtfeld wurde von Rot überschwemmt, dann blendete es sich aus, wie ein defekter Bildschirm in Elliotts Datenlinkhandel. Mit dem anderen Auge sah ich, wie Kawahara die Zange zurückzog, mit Reeses Aufzeichnungsgerät zwischen den Backen. Vom winzigen Draht tropfte blutiges Gewebe auf meine Wange.
    Sie würde sich Elliott und Reese schnappen. Ganz zu schweigen von Ortega, Bautista und vielen anderen.
    »Verdammt, jetzt reicht es«, murmelte ich schleppend, und gleichzeitig trieb ich meine Beinmuskeln dazu an, sich um Kawaharas Taille zu klammern. Mit der linken Hand schlug ich auf das schräge Glas.
    Das dumpfe Krachen einer Explosion und ein lautes Knacken.
    Ich hatte die Mikrogranate so eingestellt, dass sie fast ohne Verzögerung detonierte und neunzig Prozent der Energie an die Kontaktfläche abgab. Die restlichen zehn Prozent reichten aus, mir die Hand zu zerfetzen, das Fleisch von den Khumalo-Knochen aus Marklegierung und den kohlenstoffverstärkten Sehnen zu reißen, die Polybond-Ligamentierung zu zerstören und ein münzgroßes Loch in meine Handfläche zu stanzen.
    Auf der unteren Seite zersplitterte das Fenster wie eine dicke Eisscholle. Es schien in Zeitlupe zu geschehen. Ich spürte, wie sich die Fläche neben mir eindellte, dann rutschte ich seitwärts auf das Loch zu. Nur am Rande nahm ich wahr, wie kalte Luft in den Raum strömte. Über mir hatte Kawaharas Gesicht einen dümmlich wirkenden Ausdruck angenommen, als ihr schockiert bewusst wurde, was geschehen war. Doch es war zu spät. Sie folgte mir, während sie um sich schlug und auf meinen Kopf und Oberkörper einprügelte, doch es gelang ihr nicht, sich aus meiner Umklammerung zu befreien. Die Zange hob sich und sauste herunter, löste einen langen Fleischstreifen vom Wangenknochen, stieß einmal in mein zerstörtes Auge, doch inzwischen war der Schmerz weit von mir entfernt, fast unbedeutend geworden. Er wurde vollständig von einem Feuer des Zorns aufgezehrt, das endlich durch die restliche Eisdecke des Betathanatins gebrochen war.
    Sagt ihnen: Immer noch voller Wut.
    Da gab die Glasfläche, auf der wir miteinander rangen, nach und entließ uns in den Wind.
    Und wir stürzten…
    Mein linker Arm war durch einen Defekt, den die Detonation verursacht
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher