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Das Unkrautland | Auf den Spuren der Nebelfee

Das Unkrautland | Auf den Spuren der Nebelfee

Titel: Das Unkrautland | Auf den Spuren der Nebelfee
Autoren: Stefan Seitz
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hinter den letzten Bäumen das Feld erreichte. Vor ihm lag eine weiße Wand! Mit so einer Nebelsuppe hatte er wirklich nicht gerechnet – und schon gar nicht zu dieser Jahreszeit. Von Klettenheim war nicht die geringste Spur zu sehen. So etwas wie Straßenbeleuchtung gab es dort ohnehin nicht, wenn man von einer einzigen Laterne, die auf dem Marktplatz stand, einmal absah.
    Unter größten Mühen spähte er aus. Die dunklen Flecken unter ihm waren mit Sicherheit Hausdächer. Aber wo war die Konditorei? Wie es schien, würde sein Ausflug heute ein wenig länger dauern. Er flatterte über die Schindeldächer und beschloss sich zunächst am Kirchturm zu orientieren. Nur leider konnte er diesen nirgendwo entdecken.
    »Der muss doch hier irgendwo sein«, knurrte er. »Ich bin bestimmt schon mehr als hundert Mal um ihn herumgeflogen.«
    Dann aber fiel ihm etwas auf. Ein Schatten im Nebel, viel größer als er. Aus kurzer Distanz schien dieser direkt auf ihn zuzusteuern. Primus erschrak. Im nächsten Moment erkannte er, was da auf ihn zugeflogen kam. Es war ein dicker Kauz, der offenbar auch nicht mehr wusste, wo er sich befand. Ein Eulenschrei ertönte und Primus wich aus. Um ein Haar wären die beiden in der Luft zusammengestoßen.
    »Verflixt«, rief er, als der Kauz vorbeizog. »Will mir denn heute Nacht jedes nur erdenkliche Federvieh die Nerven rauben?«
    Er blickte sich um, wobei er dem Kauz lauthals hinterherschimpfte. Anschließend zog er noch ein paar Grimassen, streckte die Zunge heraus und schaute dann wieder nach vorne. Zu spät! Es gab einen Schlag und Primus wurde schwarz vor Augen. Den Kirchturm hatte er nun doch noch gefunden.
    Mit voller Wucht war Primus dagegengeprallt. Für einige Momente blieb er an der Turmuhr kleben, bevor er knirschend am Ziffernblatt herunterrutschte. Bäuchlings klatschte er auf das Sims des Kirchturmfensters. Es dauerte einige Zeit, bis er wieder zu sich kam.
    »Ooooh, was für eine Nacht«, keuchte er. »Zuerst zerquetscht mich fast Bucklewhees Standuhr und jetzt auch noch das.« Er hielt sich den Kopf. »Steht heute vielleicht in meinem Horoskop, dass ich um alles in der Welt von einer Uhr erschlagen werden soll?« Er blickte zum Himmel und schrie aus voller Kehle: »STEHT DAS VIELLEICHT IRGENDWO DA OBEN IN DEN STERNEN??? WENN JA, DANN KANN ICH ES LEIDER NICHT SEHEN BEI DIESEM LÄSTIGEN NEBEL!!!«
    Schmollend klopfte Primus sich den Schmutz von den Flügeln. »Da wäre ich wohl besser im Bett geblieben.« Er setzte sich auf das Fenstersims und ließ die Flügel baumeln. »Aber was soll’s«, murmelte er, »dann komme ich eben morgen wieder. Ich hoffe nur, dass keiner der Klettenheimer diese Blamage gesehen hat. Ansonsten werden sie in Zukunft alle laut klatschen, wenn ich daherkomme, anstatt vor mir davonzulaufen.«
    Er atmete tief durch und bewegte seine Gelenke. Doch als er seinen Kopf in den Nacken legte, um ihn von einer Seite zur anderen zu drehen, hielt er mit großen Augen plötzlich inne.
    »Was soll denn das bedeuten?«, staunte er. »Das habe ich ja noch nie gesehen!«
    Gleich neben dem Fenster steckte ein Haken in der Mauer, an den das Ende eines Stricks geknotet war. Wortlos starrte Primus auf das Seil, das straff gespannt an der Kirchturmmauer nach oben führte. Diese seltsame Konstruktion erschien ihm doch aufs Äußerste verdächtig. Sofort war er wieder bei Kräften und sah sich den Haken mit kritischem Blick an.
    »Kein Rost«, stellte er fest. »Der Haken ist nagelneu. Die Klettenheimer werden doch wohl nicht …?! Na, das will ich mir gleich mal ansehen.«
    Mit diesen Worten stieß er sich vom Fenstersims ab, bevor er schnüffelnd und mit einem diebischen Grinsen dem Seil entlang nach oben flatterte.
    Je höher Primus nun kam, desto breiter wurde sein Grinsen. Das Seil roch ebenso neu, wie der Haken gefunkelt hatte. Ein kurzes Stück weiter über der Turmuhr entdeckte er ein kleines Metallrädchen, das an der Mauer befestigt war. Das Seil wurde über das Rädchen geführt und verlief horizontal an der Turmwand entlang. Primus traute seinen Augen nicht, als er sah, was sich die Klettenheimer hatten einfallen lassen. Hier oben, wo er üblicherweise seine Kreise zog, hing eine riesige Schneeschaufel. Der Schaufelstiel war um die Ecke an der benachbarten Turmseite befestigt, während das Seil die Schaufel wie ein Katapult um die Kirchturmmauer bog. Primus wusste sofort, gegen wen diese Abwehrmaßnahme gerichtet war.
    »Potz Blitz noch mal«, flüsterte er.
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