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Das Unkrautland | Auf den Spuren der Nebelfee

Das Unkrautland | Auf den Spuren der Nebelfee

Titel: Das Unkrautland | Auf den Spuren der Nebelfee
Autoren: Stefan Seitz
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herausgefahren und zappelte aufgeregt auf der Stange: »Auf jeden Fall Sonnenblumenkerne, die sind ganz wichtig. Und sollten in der Backstube auch noch Johannisbeeren herumliegen, dann nimm mir bitte davon auch welche mit, ja?!«
    »Alles klar«, entgegnete Primus. »Sonnenblumenkerne und Johannisbeeren. Ich bin gleich wieder da.«
    Nach diesen Worten war von Primus nichts mehr zu sehen. Er verpuffte in einer weißen Rauchwolke, aus der Sekunden später eine kleine Fledermaus geflattert kam. Das hohe Alter war demnach nicht das Einzige, was an ihm außergewöhnlich war: Primus konnte sich verwandeln – zu jeder Tages- und Nachtzeit, wann immer er wollte. Und da er in seiner zweiten Gestalt eine Fledermaus war, konnte er zudem auch noch fliegen.
    Auf dem Haupt trug er immer noch seinen Zylinder, der natürlich jetzt um einiges kleiner war. Er besaß ein dichtes schwarzes Fell, große Augen und zwei lange Eckzähne, die im Mondlicht funkelten. Mit diesen sah er aus wie eine typische Vampirfledermaus … eine Vampirfledermaus mit Hut, wohlgemerkt. Sonderlich Furcht einflößend wirkte Primus zwar nicht, aber für die ängstlichen Dorfbewohner aus Klettenheim reichte es allemal. Entweder liefen sie schreiend vor ihm davon oder sie rannten mit Schaufeln und Mistgabeln bewaffnet hinter ihm her. Eines von beidem war sicher. Doch ganz egal, was sie auch taten, für Primus war es immer wieder ein Riesenspaß.
    Ein Vampir war er trotz alledem nicht, ganz im Gegenteil. Primus wäre nicht einmal im Traum auf die Idee gekommen, Blut zu saugen, da er normalerweise überhaupt keine Nahrung zu sich nehmen musste. Er brauchte weder zu essen noch zu trinken – und Hunger verspürte er auch nicht. Allerdings schien das eine Eigenschaft zu sein, die ihm selbst gar nicht richtig bewusst war. Stattdessen verspeiste er alles, worauf er gerade Appetit hatte, und das waren vor allem Süßigkeiten, Plätzchen und leckere Torten.
    Die besten Torten gab es seit jeher in der Klettenheimer Dorfkonditorei. Ein ausgezeichneter Laden, wo er längst zu den Stammkunden zählte – wenngleich auch zu jenen der ungebetenen Sorte.
    Nun flatterte er zur gegenüberliegenden Seite der Dachkammer und segelte freudig über das Geländer zum Kaminzimmer hinunter. Dieser Raum war wohl der Ort, an dem sich Primus, von seinem Bett einmal abgesehen, am allerhäufigsten aufhielt. Ein mächtiger Eichensessel befand sich darin, durchgesessen und mit abgewetzten Polstern. Der kleine Bucklewhee wartete immer darauf, dass irgendwann einmal die Sprungfedern durch das Leder stießen und er vielleicht eine von ihnen bekommen könnte. Damit wollte er dann seine Uhr wieder auf Vordermann bringen. Direkt neben dem Sessel befand sich ein Tisch, auf dem sich ein Stapel staubiger Bücher türmte. Aber Bücher gab es im Kaminzimmer ohnehin in Hülle und Fülle. Kreuz und quer waren sie über den Boden verteilt oder entlang der Wände aufgereiht. Der Raum verfügte nur über eine Tür, die geradewegs zur Küche führte. Von dort gelangte man weiter zur Wendeltreppe des Turms und anschließend, mit einigen Windungen, zum Eingang hinunter.
    Primus aber bevorzugte seit jeher einen anderen Weg, um den Turm zu verlassen. Er zog den Kopf ein und steuerte auf ein Loch in der Fensterscheibe zu. Zielsicher schoss er hindurch, bevor es im Sturzflug in den Garten ging.
    »Heda!«, ertönte es aus der Dunkelheit. »Darf man vielleicht erfahren, warum ihr zwei da oben solch einen Krach gemacht habt? Bei diesem Lärm kann man ja meilenweit kein Auge zutun.«
    Primus blickte nach unten. Auf einem Komposthaufen dicht neben der Gartenmauer saß ein kugelrunder orangefarbener Kürbis. Sein Name war Snigg.
    Snigg war so groß wie ein Medizinball, hatte leuchtende Augen und ein riesiges Maul. Von Beruf war er Gärtner oder so etwas Ähnliches. Genau konnte er es nicht sagen. Auf jeden Fall hatte er den Komposthaufen selbst zusammengetragen und war mächtig stolz darauf. Immerhin stellte dieser Haufen sowohl sein Bett als auch seine Vorratskammer dar. Er wühlte ständig darin in der Hoffnung, unter den Blättern etwas Essbares zu finden. Frühstück im Bett nannte er diese Buddelei, was mit Abstand zu einer seiner allerliebsten Beschäftigungen zählte.
    Nur wenige Ellen neben dem Komposthaufen ragte eine hohle Eiche in die Höhe, deren Äste fast bis zum Boden reichten. Sobald dieser Baum einmal Blätter tragen würde, so hoffte Snigg, bekäme seine Traumwohnung sogar ein eigenes Dach.
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