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Das Unkrautland | Auf den Spuren der Nebelfee

Das Unkrautland | Auf den Spuren der Nebelfee

Titel: Das Unkrautland | Auf den Spuren der Nebelfee
Autoren: Stefan Seitz
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in sicherer Entfernung vom Wald an und mieden ihn, so weit es nur ging. Lediglich zum Sammeln von Feuerholz wagten sie sich hin und wieder an seinen Rand. So kam es auch, dass nur ganz selten einmal jemand die Nebelfelder erreichte und von dem krummen Turm berichtete, der hoch oben auf einem Hügel stand. Und eben auf jenem Hügel, vor dem Gartentor des alten Turms, endete schließlich auch der Distelpfad.
    Es war ein wackeliges Gemäuer, das schief und verdreht in den Himmel ragte. Beinahe sah es so aus, als hätte es der Wind über die Jahrhunderte hinweg in sich verbogen. Unmittelbar an die Ostwand des Turms schmiegte sich ein kleines Fachwerkhäuschen mit leeren Fenstern. Verwunschen stand es da inmitten des ummauerten Gartens, in dem sich das Gestrüpp genauso verbreitet hatte wie die Berge alten Laubs. Wann dieses Anwesen über den Nebelfeldern erbaut worden war und besonders von wem , war weithin unbekannt. Selbst in den Archiven der Stadt Hohenweis, ihres Zeichens die Hauptstadt des Unkrautlands, war kein Erbauer oder Eigentümer mehr verzeichnet. Doch in Hohenweis kümmerte sich ohnehin schon lange niemand mehr um irgendwelche verfallenen Bauten, die außerhalb der hohen Stadtmauern lagen. Erst recht nicht um den alten Turm jenseits des Waldes, dessen Eingangstür mit Brettern vernagelt war und dessen Fensterläden krumm und schief in den Angeln hingen. Das Gebäude sei verlassen, so dachten die Stadtväter, und schon seit mehreren Jahrhunderten unbewohnt.
    Doch dieser Meinung war man nicht überall. Gerade in den Dörfern der näheren Umgebung war man, was das betraf, einer völlig anderen Auffassung!
    Umherirrende Wanderer wollten in dunklen Nächten flackerndes Licht hinter einem der Fenster gesehen haben. Andere Quellen berichteten von schrillem Gelächter und gar entsetzlichen Schreien. Die abenteuerlichsten Geschichten gingen um und jedes der Dörfer hatte hierbei offenbar seine eigenen.
    Man hätte jemanden im Turm beobachtet, flüsterten die Leute … eine dünne schattenhafte Gestalt, die hinter einem der Fenster gekauert habe. Rabenschwarz soll sie gekleidet gewesen sein, mit Weste, Frack und einem zerknautschten Zylinderhut auf dem Kopf. Mancherorts tuschelte man auch von einem Vampir mit blitzenden Zähnen und einem Umhang. Anderswo von einer Nebelkrähe mit Gehrock. Die Gerüchte nahmen kein Ende. In Klettenheim, einem verschlafenen Dörfchen am Nordrand des Finsterwalds, beschrieb man diese Gestalt als fliegenden Schatten mit Hut und Fledermausflügeln. Und das war längst noch nicht alles. Denn die verschreckten Klettenheimer behaupteten obendrein, dass jener Schatten nicht nur dort im Turm sein Unwesen treiben würde, sondern bereits seit mehreren Jahrhunderten ihr Dorf heimsuche. Böse war er angeblich, ein blutrünstiger Vampir, der nachts um ihren Kirchturm flatterte, ihr Essen stahl und alle Einwohner in Angst und Schrecken versetzte.
    Aberglaube, möchte man meinen. Ammenmärchen und alberne Schreckgeschichten. Doch einen wahren Kern schienen sie trotz alledem zu bergen. Denn auch in dieser Frühlingsnacht, als der Mond hoch über den Nebelfeldern stand, brannte hinter einem der Dachfenster Licht und lautes Gepolter drang aus dem Turm.
    »… ich bekomme sie nicht auf …«, schallte es durch die Nacht. »Tut mir leid, aber das Ding klemmt.«
    »Das kann doch nicht so schwer sein«, krächzte eine andere Stimme. »Hast du denn kein Werkzeug?«
    Daraufhin wurde es still. Doch schon wenig später setzte ein ohrenbetäubendes Gerassel ein, wie von Ketten, Blechschüsseln oder Topfdeckeln. Es krachte über die Hügel, dass gewiss ein jeder Wanderer Hals über Kopf Reißaus genommen hätte. Doch wie schon so oft war auch in dieser Nacht niemand in der Gegend, und daher konnte auch niemand die schwarze Gestalt beobachten, die hinter einem der erleuchteten Dachfenster stand.
    Das Innere des alten Gemäuers war keineswegs so verfallen, wie es der äußere Eindruck vielleicht hätte vermuten lassen. Es war nur sehr staubig und ausgesprochen unordentlich. Egal welches der Zimmer man auch betrat, überall lagen Bücher, Pergamente und Schriftrollen herum. Es gab Glasampullen, Winkelmesser, Zirkel und zahllose andere wissenschaftliche Geräte. Spinnweben spannten sich quer durch die Räume und in dicken Fäden hing der Staub von der Decke. Ein klein wenig aufgeräumter war es nur in der Dachkammer, wo ein riesiges Eichenbett mit rot-weiß kariertem Bettzeug fast den ganzen Raum ausfüllte. Hier
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