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Das Unkrautland | Auf den Spuren der Nebelfee

Das Unkrautland | Auf den Spuren der Nebelfee

Titel: Das Unkrautland | Auf den Spuren der Nebelfee
Autoren: Stefan Seitz
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fand schon bald ein Ende, als die Hitze ständig zunahm. Von Tag zu Tag wurde es schlimmer. Wie eine Glocke lag die heiße Luft über dem Land, ohne dass auch nur die kleinste Wolke am Horizont zu sehen war. Der Finsterwald war zu einem stickigen Backofen geworden, in dem man fast nicht mehr atmen konnte. Die Bäume ächzten vor Trockenheit und die laufenden Grasbüschel trotteten nur noch langsam über den Waldboden dahin. Aber neben der Hitze gab es noch eine weitere Plage: Die stinkenden Staubpilze platzten bei diesen Temperaturen von ganz alleine auf und verbreiteten ihre übel riechenden Wolken mit Pilzsporen an allen nur erdenklichen Stellen im Wald. Folglich vermehrten sie sich auch mit galoppierender Geschwindigkeit, so dass manche Waldteile fluchtartig von jedem verlassen wurden, der auch nur ansatzweise eine Nase besaß.
    Mit knackenden und knarrenden Holzbalken stöhnte auch der alte Turm unter der Hitze, und das rund um die Uhr. Am Tag brannte die Sonne so lange auf die Mauern hernieder, dass sich diese immer weiter aufheizten. Wenn es dann draußen am Abend ein wenig abkühlte, gaben die Steine die gespeicherte Wärme an alle Räume ab. Im Turm herrschte praktisch vierundzwanzig Stunden Mittagshitze, mit sagenhaften Höchstwerten im Dachgeschoss. Bucklewhee hielt es in seinem Uhrenkasten überhaupt nicht mehr aus. Die ganze Zeit hockte er auf dem ausgeklappten Scherengitter und wippte völlig außer Atem auf und ab, um wenigstens für ein bisschen Wind zu sorgen.
    Primus hingegen schlich die ganze Zeit über mit einer mürrischen Laune durchs Haus und wusste überhaupt nicht, was er mit sich und dem lieben langen Tag anfangen sollte. Zwar bereitete ihm helles Tageslicht keine Schwierigkeiten, wie man es bei einer Gestalt wie Primus vielleicht vermuten würde, aber alles hat irgendwo seine Grenzen. Ein derartig grelles Sonnenlicht, verbunden mit einer so unerträglichen Hitze, konnte er ganz und gar nicht gebrauchen. Stundenlang ging er mit rücklings verschränkten Armen im Kaminzimmer hin und her, wobei er immer wieder aus dem Fenster schielte. Prüfend blickte er zum Himmel, ob er nicht irgendwo eine kleine erlösende Wolke oder vielleicht auch nur einen Dunstschleier sehen konnte. Aber nichts dergleichen war in Sicht. Dafür wehte ihm jedes Mal ein heißer Luftstoß ins Gesicht, wenn er seine Nase aus dem Fenster hielt. Mit einem lauten Pusten zog er dann den Kopf wieder ein, machte auf dem Absatz kehrt und wanderte weiter durchs Haus. Die Hitze war schlicht und einfach zum Verzweifeln.
    Der einzige Raum, der nicht von diesen Temperaturen heimgesucht wurde, war der kleine Keller tief unterm Turm. Primus hätte sich natürlich einen gemütlicheren Ort vorstellen können, aber immerhin war es dort unten kühl. Außerdem ging ihm das Quietschen von Bucklewhees wippendem Scherengitter mit der Zeit gehörig auf die Nerven, weshalb er oft noch vor der Mittagsstunde die Flucht ergriff. Im Schneckentempo schlurfte er dann kopfschüttelnd aus dem Kaminzimmer, schlenderte durch die staubige Küche bis zur Wendeltreppe und stieg hinab. Schritt für Schritt ging es die engen Stufen hinunter, da er zum Fliegen mittlerweile viel zu erledigt war. Er passierte die große Eingangshalle, kam an der vernagelten Haustür vorbei und erreichte dann endlich den Keller. Erleichtert öffnete er jedes Mal das eiserne Gitter und genoss die kühle Luft, die ihm hier unten entgegenströmte.
    Da saß er dann zwischen den mächtigen Weinfässern auf dem Boden und grummelte vor sich hin. Eine Laterne baumelte von der Decke und beleuchtete die riesigen Eichenfässer, auf denen fingerdick der Staub lag. Dunkeltropfen Spätlese stand in schwer lesbarer Schrift auf den Fässern, die in zwei gegenüberliegenden Reihen vor den Kellerwänden lagerten. Der Dunkeltropfen war mit Abstand der älteste, teuerste und beste Wein, den man im ganzen Land bekommen konnte. Doch Primus war das völlig egal. Wein hatte er noch nie leiden können, ganz egal wie er auch heißen mochte. Schmeckt wie Suppenwürze oder das saure Zeug aus dem Gurkenglas , hatte er einmal gesagt. Daher empfand er diesen Raum auch schon seit jeher als ausgesprochen langweilig und unsagbar uninteressant.
    Uninteressant – bis auf eine kleine Ausnahme! Denn hier unten wurde im Licht der Laterne noch etwas anderes sichtbar als Weinfässer und Staubfäden.
    Am ersten Tag seiner hitzebedingten Kelleraufenthalte saß Primus mit angezogenen Beinen auf dem Boden und lehnte an einem
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