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Das Unglück der kleinen Giftmischerin

Titel: Das Unglück der kleinen Giftmischerin
Autoren: Erich Wulff
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fünf Jahre, saß Großmann dann wieder in dem festungsartigen Quebecer Gefängnis ein. Mehrere Ausbruchsversuche scheiterten. Einmal kam er aus dem Haus, aber nicht aus der Umzäunung heraus, ein anderes Mal stiftete er eine groß angelegte Gefangenenmeuterei an, bei der zwölf Wächter als Geisel genommen wurden und schließlich die Armee anrücken musste, um die Meuterer zu entwaffnen. Warum er - das war sein letztes Husarenstück in Kanada - im Gerichtssaal auf den Richter geschossen hatte, war ihm selbst nicht mehr ganz klar. Dass er sich den Weg nach draußen nicht freischießen konnte, hätte er gewusst: An jeder Tür hätten zwei bewaffnete Polizisten gestanden. Sie hätten ihn in diesem Gefängnis besonders schlecht behandelt, auf Anordnung des Richters auch nachts die Fußfesseln nicht entfernt. Er hätte sich dafür rächen wollen, es sei Teil seines Krieges gegen die Gesellschaft gewesen: Das viele Geld, das er bei den Überfällen erbeutet hätte, hätte er fast ausschließlich an bedürftige Schicksalsgenossen verteilt. Für den Schuss auf den Richter, als Mordversuch angeklagt, bekam Großmann lebenslänglich. Wenn es ihm je gelänge, wieder herauszukommen, hatte er bei der Urteilsverkündung gedroht, käme er mit einem Maschinengewehr zurück.
    Das strenge Urteil wurde zu seiner Rettung: Inzwischen hatte sich seine Anwältin in ihn und er sich in sie verliebt, und sie fand heraus, dass das »lebenslänglich« gesetzeswidrig war: Der Richter war nicht verletzt worden, so dass lediglich eine Zeitstrafe hätte verhängt werden dürfen. Da der Richter alle vorherigen Strafen mit der letzten zu »lebenslänglich« zusammengefasst hatte, konnte die Anwältin - Großmann zufolge die bekannteste Strafverteidigerin Kanadas - die Annullierung des gesamten Urteils erreichen. Ganz klar machen konnte er mir den Prozessweg nicht. Er sprach auch von einer »Begnadigung«, die deshalb erfolgt sei, weil die kanadische Justiz von ihm und dem »Trouble«, den er mache, genug gehabt hätte und froh gewesen sei, ihn durch eine Ausweisung nach Deutschland endgültig loswerden zu können. Vielleicht haben die Behörden tatsächlich nach der Aufhebung des Urteils auf die Durchführung eines neuen Verfahrens verzichtet. Jedenfalls saß Großmann schließlich in Begleitung seiner neuen Freundin, der Anwältin, in einer Maschine nach Frankfurt.
    Die deutschen Behörden zweifelten zunächst an seiner Begnadigung und stellten ihn unter Hausarrest und Meldepflicht. Dem entzog sich Großmann dadurch, dass er sich mit seiner Freundin nach Holland absetzte. Die Strafverteidigerin war nämlich mit Professor Johannes Vloeßmann, dem Dekan einer altehrwürdigen Rechtsfakultät und Direktor des Instituts für Kriminologie, befreundet. Der nahm das Paar nicht nur bei sich zu Hause auf, er verschaffte Großmann überdies einen Lehrauftrag für praktische Kriminologie. Die Studenten sollten das Verbrechen auch aus der Perspektive des Täters kennen lernen, und so legte Großmann ihnen in einem Seminar die Umstände dar, die ihn auf seinen kriminellen Lebensweg gebracht und gehalten hatten.
    Das ging eine Zeit lang gut. Nach einer Weile begann dieser Unterrichtsstoff den neuen Lehrbeauftragten jedoch zu langweilen. Auch reichte das verdiente Geld für seine Bedürfnisse und die seiner Freundin nicht aus, so dass er, um diesen beiden Mängeln abzuhelfen, wieder einen Banküberfall beging, bei dem er allerdings rasch als Täter identifiziert wurde. Die Polizei dachte zunächst, es hätte sich bei dem Bankraub um eine mit der Direktion abgesprochene Übung des Institutes gehandelt, um eine Art externe Lehrveranstaltung über kriminelle Praxis. Erst als das Geld tatsächlich bei Großmann gefunden wurde, nahm sie die Sache ernst. Großmann bekam eine verhältnismäßig milde Strafe, zwei Jahre Gefängnis, die er zur Hälfte absaß. Danach wurde er nach Deutschland ausgewiesen und seine Freundin kehrte nach Kanada zurück.
    In dem niederrheinischen Städtchen, in dem er nun landete, suchte er sich gleich eine neue Lebensgefährtin: eine etwas verwahrloste junge Frau, Mutter eines dreijährigen kleinen Jungen, der Vater war unbekannt. Sie trank ziemlich viel und ließ während ihrer häufigen depressiven Kater ihre Wohnung verkommen. Großmann war in einer Lebensphase, in der er Sehnsucht nach einer eigenen Familie hatte. Er zog bei der Frau ein, sorgte für Ordnung im Haus und nahm zum ersten Mal eine reguläre Arbeit als Anstreicher an. Alkohol
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